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Zeit für einen Schuldentausch, G7?

Ökologische Schulden des Globalen Nordens gegen die finanziellen Schulden des Globalen Südens abrechnen. Das fordert eine neue Kampagne zum Auftakt vom G7-Gipfel – und hofft damit der Klimabewegung neuen Schwung zu geben. Ein Bericht vom G7-Klimastreik in München und Auftakt unserer Serie über die Vision "Debt for Climate".

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© Jean Beller

Nicht viele hatten sich nach dem Gewitter am Freitagnachmittag zum Odeonsplatz in der Münchner Innenstadt gewagt, dem Aufruf von Fridays For Future München zu folgen, um ihren Forderungen an den G7-Gipfel zu bekunden. Doch Vanessa Nakate ließ sich nicht von der Presse und nicht von einem Gewitter abschrecken. 

Wer um 5 Uhr an der Demonstration vorbei geschlendert wäre, hätte sie vielleicht gar nicht bemerkt, sie stand in einer Gruppe von Freunden hinten, am Rand der Demonstration. Geduldig wartete sie auf darauf, von den Organisatoren, Fridays For Future München, aufgerufen zu werden. Verstehen konnte sie die ersten Beiträge und Ankündigungen vorne auf der Bühne nicht, eine Mitstreiterin bemühte sich zu übersetzen. 

Während andere auf der Bühne sprachen, tappte die Klimaaktivistin mit ihren Füßen in Gedanken verloren einen Kreis. Vanessa ist aus Uganda an den Fuß des G7-Gipfels gereist, um der Klimakrise eine afrikanische Stimme zu verleihen. Ihre Stimme verlieh an diesem Freitag auch dem Kampf zwischen Geld und Klimagerechtigkeit neues Leben. 

„What do we want?“ „Climate Justice!“ „When do we want it?“ „Now!“ sang die Gruppe an jungen KlimademonstrantInnen. Vanessa erklärte, worum es Afrika beim Thema „Climate Justice!“ vor dem G7-Gipfel geht: Geld.

„Rich countries are responsible for the climate crisis, so why is the Global South paying for it?“ 

350.org

Sie weiß, was sie von G7 fordert: #G7ShowUsTheMoney. G7, wo ist das Geld?

Eine „gerechte Welt“ für wen?

Am Sonntag werden sich die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten (Deutschland, Kanada, Frankreich, Italien, Japan, Großbritannien, die USA und die EU) zum Schloss Elmau in den bayerischen Alpen einfliegen, um zu verhandeln, wie sie am besten „Nachhaltige Investitionen in eine bessere Zukunft“ tätigen.

Schloss Elmau

Das Ziel, dass sich die deutsche G7-Präsidentschaft vorgenommen hat: „Fortschritt für eine gerechte Welt“ zu schaffen. 

Doch Vanessa und ihre Mitstreiter aus Uganda, Namibia und Argentinien, erinnerten die DemonstrantInnen daran, wie für sie eine „gerechte Welt“ aussehen würden: die G7 kommen ihren zugesagten Klimafinanzierungsversprechen nach, erlassen die Zinseszins-Schulden des globalen Südens und übernehmen Kosten für einen angemessenen Anteil der Klimaschäden, die ihre Länder verursacht haben. 

Keine Zeit mehr zum Zögern

Mit einer Gelassenheit, die sie durch eine nicht-mehr-aufzählbare Zahl an Reden gesammelt hat, appellierte sie mit ruhiger Stimme an die G7 Staatsoberhäupter, endlich für die Klimakrise zu zahlen. Ihr Englisch war klar und langsam, sodass auch Schüler und die vereinzelt verstreuten Demonstranten höheren Alters ihre Botschaft verstehen konnten. Ihre Worte waren gezielt eindringlich, so dass sich kein Staatschef abwenden könnte, würde „er“ (alle sieben Länder werden von Männern geführt) in dem Moment an dem khakifarbenen Bus, der als fahrbares Podium umgebaut war, vorbeilaufen. 

Doch kein Staatschef schlenderte vorbei. Nur eine Gruppe an Joggern mittleren Alters und etliche junge Shopper mit Taschen von Zara schlängelten sich, heiter plaudernd versunken in ihrer Welt, einen Weg über den Odeonsplatz, vorbei an dem porösen Gemenge an Polizisten und Demonstranten auf der einen und den Läden von Mercedes und Peloton auf der anderen Seite. Einige Eltern mit Kindern blieben stehen.

Vanessa störte die Abwesenheit von Entscheidungsträgern nicht. Erst kürzlich hätten sich Vertreter der G7-Staaten in Bonn bei der „Klimazwischenkonferenz“ ihren Appell anhören müssen. Dort hätten sie versucht, Vanessa zu besänftigen, ihr zu geloben, sie hätten es alles unter Kontrolle. Sie bräuchten lediglich ein wenig „more time to figure things out.“ Doch „how much more time do we have“ gab sie den KlimaaktivistInnen zu denken „if people are suffering?“ 

Forderungen an G7: Geld statt Versprechen

Sie schilderte den DemonstrantInnen ihre Forderungen an die G7-Staatschefs: die G7 müssen jetzt handeln. G7 müssen jetzt die Finanzierung von fossilen Brennstoffen beenden, G7 müssen jetzt die globale Finanzierung von Klimamaßnahmen massiv erhöhen. Afrika sucht bereits jetzt nach Geld, um die Verluste, die der Klimawandel den Menschen schon heute bringt, wieder zu reparieren. 

„Unternehmen Sie jetzt etwas dagegen!“ fleht Vanessa die fehlenden Zuhörer vom G7-Gipfel an, ihre Ohnmacht anerkennend. 

Die DemonstrantInnen brechen in stürmischen Jubel aus. Die meisten von ihnen klammern sich an die gleiche Bitte. 

Schuldenfalle Klimaschäden

Was Klimagerechtigkeit bedeutet, wird Vanessa und Ihren Landsleuten aus Uganda jeden Tag bewusster. Warum sollen wir für die Klimaschäden (Loss & Damage) bei euch neue Schulden aufnehmen, fragt Joshua Omonuk, ihr Mitstreiter des Rise Up Movements Africa, wenn ihr die Schäden bewirkt habt?

Schulden als Klimabrandstifter

Um die vom Klimawandel verursachten Verluste und Schäden zu reparieren, ist Afrika gezwungen, weitere Schulden aufzunehmen. Und diese weiteren Schulden knechten den Globalen Süden, weiter nach fossilen Brennstoffen zu bohren, also sich die eigenen Wunden noch weiter aufzukratzen. 

Schulden fürs Klima?

Esteban Servat aus Argentinien bot der Gruppe an Demonstranten einen neuen Klettergriff an, um uns alle aus dem Teufelskreis von Klimaschäden, Schulden und Klimawandel zu ziehen: Statt den Globalen Süden weiter auf magersüchtige Überweisungen oder Investitionen aus den G7 Ländern warten zu lassen, fordert er mit der neuen Kampagne Debt for Climate! einen Schuldenaustausch. 

Das Ziel der „Graswurzel-Initiative, angeführt von Menschen aus dem globalen Süden“: Durch „den Erlass der Schulden“, verarmte Länder zu ermächtigen, „fossile Energieträger im Boden zu lassen und eine gerechte Klimawende zu finanzieren.“

Abrechnung

Esteban bietet an, die ökologischen Schulden der G7 mit den finanziellen Schulden aufzurechnen, die sein Land und andere einkommensschwachen Länder (von denen sich 60 % am Rande der Insolvenz befinden) an die G7-Staaten zu entrichten haben. 

Verdrängt: Die Debatte um die erstickenden Schulden

Seine Jahre im Kampf gegen das Fracking in Argentinien haben ihn gelehrt: Wenn Gerechtigkeitsbewegungen in unterschiedlichen Teilen der Welt auf die Straße ziehen, weilen Schulden nicht weit entfernt. Unsichtbar wie sie sind, schaffen sie es jedoch oft, einen Gegner mit Gestalt in der realen Welt nach Vorne zu drücken. 

Nach vielen Kampagnen und verstreuten Erfolgen in den 1990er-Jahren verschwand die Schuldendebatte weitestgehend aus dem Vokabular der Bewegungen. Die vereinzelten „Schulden-für-Natur-Swaps“ zwischen Bolivien und der NGO Conservation International (1987) und anderen kleinen Staaten oder das Buch „Debt“ des verstorbenen Anthropologen und Organisatoren von Occupy Wall Street David Graeber gelang es nur flüchtig, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu lenken. 

Esteban ist überzeugt: Es ist Zeit, den unsichtbaren Puppenspieler „Schulden“ wieder ins Zentrum der Gerechtigkeitsbewegungen zu rücken.

Schulden vereinen

Doch Esteban hat noch höhere Erwartungen an die neugeborene Bewegung. Das Thema „Schulden“ könnte KlimaaktivstInnen aus den G7-Staaten und AktivistInnen für soziale Gerechtigkeit im Globalen Süden dazu bewegen, gemeinsam hinter einem Banner zu marschieren. Sie alle sind verbunden durch Schulden. 

Mehr noch: Er hat beobachtet, wie die Klimabewegung vor einem „Scheideweg“ zum Stehen gekommen ist. Die Frustration steigt — und mit ihr die Demotivation vieler zuvor engagierten AktivistInnen. Die Hoffnung vieler ist vertrocknet. 

Ein Durchbruch?

Schon jetzt hat Debt for Climate! müde Aktivisten wie George Monbiot vom Guardian mitreißen können. „Der Erlass der historischen Schulden der armen Länder würde es ihren Regierungen ermöglichen, Geld in die Klimaanpassung zu stecken.“ schreibt er – und gleichzeitig Aktivisten von verschiedenen Anliegen vereinen. „Jetzt, glaube ich, ist der Durchbruch geschafft.“

Auch Estebans Stimme ist erfüllt von neuer Hoffnung. Sein Blick streift über die Gruppe an Klimaaktivisten vor ihm und er ruft aus: „Let’s become millions on the street“.

Lesen Sie in Kürze genauere Analysen des Vorschlags in unserer Serie über die Vision „Debt for Climate“

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