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Wer hinterfragt das Geld?

Die Geschichte eines Professors, dessen Botschaft wir nicht hören wollten.

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Credits: william william

Im Jahr 1992 reihten sich in Rio 154 Staatsvertreter auf, um ihre Unterschrift unter die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) zu setzen. Keiner von ihnen hatte damals von dem jungen Wissenschaftler gehört, der zur gleichen Zeit seinen ersten richtigen Artikel in der angesehenen anthropologischen Zeitschrift MAN veröffentlicht hatte.

Schade. Alf Hornborg hätte ihnen gerne erklärt, warum ihre Unterschrift nicht den Anfang vom Ende der Klimakrise einläuten wird — so einfach wie ihre Unterschrift unter dem Montrealprotokoll zuvor das Ozonloch geschlossen hat. Doch hätten sie seine Botschaft wahrhaben wollen?

Während die Herren von Rio auf den technischen Fortschritt setzten, um die Wirtschaft nicht zu bremsen, prophezeite Hornborg, dass es ihnen mit dieser Taktik nicht gelingen würde, den fortschreitenden Klimawandel zu bremsen. Aus Hornborgs Sicht ist die Klimakrise nur zu lösen, wenn die Spielregeln des Geldes neu geschrieben werden.

Der Artikel brachte dem jungen Wissenschaftler eine Professur. Doch nur wenige lasen oder verstanden damals seine Botschaft — wahrhaben wollte sie kaum jemand. Unbeirrt hat Hornborg in den letzten 30 Jahren weiter geforscht und geschrieben. Nun, da er im November 2022 in den Ruhestand geht, blickt Professor Alf Hornborg auf seine Karriere zurück — desillusioniert, aber zufrieden, dass er seinen Überzeugungen treu geblieben ist.

Eine unbequeme Botschaft macht den Boten einsam

Auch nach 30 Jahren fühlt sich Hornborg immer noch einsam, wenn er den Bauplan des Geldes in Frage stellt. Er kann noch immer das Lachen hören, mit dem ein Wirtschaftswissenschaftler auf einer Konferenz in Portugal auf seine Botschaft reagierte. Als er mir das erzählt, füllt sich seine Stimme nicht mit Entrüstung, sondern mit Bedauern. Diese Art von Reaktion stört ihn nicht mehr. Vielmehr akzeptiert er, dass Geld die Vorstellungskraft der Ökonomen einzäunt. Geld wird nicht in Frage gestellt. Es ist der Rahmen, in dem sie ihre Analysen durchführen.

Dreißig Jahre Forschung haben ihm bestätigt, dass es eines Beobachters von außen brauchte, um die Spielregeln des Geldes zu hinterfragen, dem wir die Ordnung unseres Alltags und unseres Zusammenlebens überlassen haben. Es bedurfte eines Anthropologen, um das Gewöhnliche in Europa als etwas Außergewöhnliches zu sehen. Es bedurfte eines Menschen, der gelernt hat, die Magie in exotischen Kulturen zu analysieren.

Die Hoffnung bleibt.

Warum Anthropologie?

Alf Hornborg wurde 1954 in Schweden geboren. Als kleiner Junge liebte er vor allem Tiere. Besonders das Nashorn hat es ihm angetan. Das Buch „Nashörner gehören allen“ von Bernhard Grizimek, in dem davor gewarnt wird, dass die wilden Tiere der Serengeti durch menschliche Aktivitäten bedroht sind, beunruhigte ihn sehr. Je mehr er las, desto mehr rückte ein anderes Tier in den Mittelpunkt: der Mensch. Aus Frustration darüber, dass der Lebensraum des Nashorns und seiner Artgenossen zerstört wurde, wurde er immer neugieriger auf das Tier, das als Mensch bekannt ist. Warum zerstört der Mensch seinen eigenen Lebensraum?

Im Alter von 9 Jahren zog er aus dem ländlichen Schweden nach Helsinki und dann für 5 Jahre nach Kanada – der Arbeit seines Vaters folgend. Dort riet ihm sein Sozialkundelehrer: „Wenn du die Menschheit wirklich besser verstehen willst, kannst du mit diesen beiden Büchern anfangen.“ Also las er Robert Ardreys Buch African Genesis und Desmond Morris‘ Buch The Human Zoo und war süchtig. Erst später, als Anthropologe, wurde ihm klar, wie wenig die Soziobiologie über den Menschen zu sagen hatte.

Im Herbst 1974 schritt er am Zoologiegebäude vorbei und trat durch die Türen der anthropologischen Fakultät der Lunds universitet im schwedischen Süden. Zu dieser Zeit lehrte hier der renommierte Anthropologe Jonathan Friedman aus den USA. Er sollte Hornborgs Mentor werden.

Eine Generation erwacht

1973 ist als das Jahr der Ölkrise in das kollektive Gedächtnis eingegangen. Vor allem aber war es die Zeit der jungen Rebellen. Die Jugend lehnte sich gegen die Elterngeneration und Autoritäten auf. Erst kurz zuvor hatten die Friedensproteste 1971 mit den May Day Protests in Washington ihren Höhepunkt erreicht und Nixon den Goldstandard beerdigt. Eine neue Generation von Büchern tauchte in den Regalen der Universitätsbibliotheken auf und brachte unbequeme Wahrheiten ans Licht. Kurz bevor Alf sein Studium begann, erschienen Die Grenzen des Wachstums vom Club of Rome (1972), Small is Beautiful von E.F. Schumacher (1973) und das Buch, das Hornborgs Weltanschauung mehr als jedes andere prägen sollte: The Entropy Law and the Economic Process von Nicholas Georgescu-Roegen (1971). 1972 fand die erste UN-Weltumweltkonferenz in Stockholm statt, und Serge Latouche schuf den Begriff “Postwachstum” (Degrowth). Der junge Alf fing an zu studieren, als die Jugend entdeckte, wie ihre Eltern die Welt zugrunde richteten.

Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus offenbart ungleichen Austausch

Während Hornborgs Jugend von der Umweltbewegung geprägt war, wurde sein Lehrer von Marx inspiriert. Friedman war ein führender Forscher auf dem Gebiet der „Weltsystem-Theorie“, die der Yale-Professor Immanuel Wallerstein in den 1970er Jahren entwickelt hatte. Friedman beschäftigte sich mit globalen Machtstrukturen und zeigte Hornborg, wie die Peripherie (der globale Süden) für einige wenige wohlhabende Staaten im Kern (der globale Norden) arbeitete. Er beschäftigte sich immer noch mit der Frage: Wie werden die Früchte und Lasten der Produktion sozial verteilt? Doch anstatt sich auf lokale Klassenkonflikte zu konzentrieren, lehrte Friedman Hornborg, immer über die nationalen Grenzen hinauszublicken, die “Gesellschaft” nicht als die Bürger eines einzelnen Landes, sondern als globale Gemeinschaft zu verstehen.

Wer ist der Verursacher?

Welche Dynamik hat diese asymmetrische Kern-Peripherie-Beziehung ausgelöst? Hornborg stellte Fragen zu Energieströmen und den physischen Aspekten des Handels. Während einer dieser Diskussionen fragte Friedman beiläufig, ob Hornborg ein Buch von einem Ökonomen namens Nicholas Georgescu-Roegen gelesen habe. Diese Buchempfehlung seines Lehrers brachte ihn auf die richtige Spur.

Eine Buchempfehlung verändert alles

The Entropy Law and the Economic Process von dem Ökonom Nicholas Georgescu-Roegen, Schützling von Joseph Schumpeter, steht auf keiner gewöhnlichen Lektüreliste eines Anthropologiestudiums (und ist auch in nur wenige Kurse der Wirtschaftsfakultäten eingedrungen). Hornborg vermutet, dass Friedman selbst das dicke Buch mit seinen verschachtelten Sätzen und algebraischen Formeln noch nicht gelesen hatte.Doch das Buch klang in seiner Beschreibung so interessant, dass Hornborg es sich sofort kaufte. Obwohl Hornborg damals nur die Absätze zwischen den Gleichungen verstand, verschlang er es wie andere einen Roman. Die Signifikanz der Erkenntnisse entgingen ihm nicht.

Und so war es nicht Das Kapital, sondern das sperrige, mit Formeln bepackte The Entropy Law and the Economic Process, dass einen Ehrenplatz auf Hornborgs platzenden Bücherregal belegen darf.

Nicholas Georgescu-Roegen wurde 1906 in Rumänien geboren und floh später in die Vereinigten Staaten. Gelehrt sowohl in Physik und Statistik als auch in der Ökonomie, rätselte er darüber, warum die Wirtschaftswissenschaften, eine Disziplin, die ansonsten in jeder Hinsicht der Physik nachzueifern versuchte, immer noch an den längst überholten Gesetzen der Mechanik festhielten, obwohl die Physik selbst bereits zur Thermodynamik übergegangen war. Seine Arbeit kam genau zum richtigen Zeitpunkt und zog einen kleinen Kreis von begeisterten Anhängern an, darunter Herman Daly. Georgescu-Roegen gilt als Mitbegründer der „Ökologischen Ökonomie“ und der „Degrowth“-Bewegung. Dennoch blieb er bescheiden und seiner wissenschaftlichen Arbeit verschrieben. Nach Kritik, dass er Energie und Materie in seiner Kernaussage gleich behandelte, bemühte er sich bis an sein Lebensende zu beweisen, dass dies gerechtfertigt war. Heute stimmen sogar Forscher, die Teile seiner Anwendung der thermodynamischen Theorie kritisieren, wie Tomas Kåberger und Bengt Månsson oder Ayres zu, dass Entropie auf Energie und Materie angewendet werden kann. Doch das hat Georgescu-Roegen nicht mehr miterelebt. Er starb 1994.

Im Jahr 1991 hatte Hornborg noch das Glück, an einer Konferenz zu Ehren von Georgescu-Roegen in Rom teilzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt lebte der 85-jährige Georgescu-Roegen in den USA und war bereits zu schwach, um persönlich nach Rom zu reisen. Er sprach jedoch per Video mit den Teilnehmern. Auf der Konferenz lernte Hornborg einige seiner späteren Co-Autoren und Freunde kennen, wie Joan Martinez-Alier.

Das Gesetz der Entropie

Nicholas Georgescu-Roegen hatte beobachtet, dass Wirtschaftswissenschaftler zwar aus dem ersten Satz der Thermodynamik gelernt haben, dass Energie oder Materie nicht produziert oder zerstört werden kann — aber das zweite Gesetz der Thermodynamik ignorieren. Nach Georgescu-Roegen ist der wirtschaftliche Prozess — und damit auch die Umweltverschmutzung — nur zu erfassen, wenn man auch das zweite Gesetz der Thermodynamik (berühmt geworden als Entropiegesetz) in den Raum der Analyse mit einlädt.

Was sagt uns das Gesetz der Entropie? Um die Moleküle des Lebens in einer gewissen Ordnung festzuhalten, braucht es Energie. Die einzige Energiespenderin auf unseren Planeten ist die Sonne. Sie versorgt alle Dinge — Menschen, Bäume, Nashörner und auch unsere Maschinen — mit Energie.

Der Metabolismus von Organismen

Um die von der Sonne bereitgestellte Energie zu nutzen, haben alle Organismen einen Metabolismus entwickelt. Kein Organismus kann ohne das “Gefühl der Entropie” leben, erklärt Georgescu-Roegen. Wir empfinden Kälte und Wärme oder uns plagt der Hunger. Wir nehmen Energie höherer Ordnung (niedrige Entropie) aus der Umwelt auf und entladen Energie niedriger Ordnung (hoher Entropie) in unsere Umwelt. Dabei geht keine Energie verloren, aber ihre Qualität ändert sich. Das ist der Prozess der Entropie — ein Prozess, der per Definition asymmetrisch ist. Wir saugen hochwertige Energie aus der Umwelt. Doch einmal verdaut, können wir nur noch das Abfallprodukt wieder an die Umwelt zurückgeben. Das stellt in der Natur kein Problem dar. Die Sonne füllt die Reserven langsam wieder auf.

“Da Energie weder erzeugt noch zerstört werden kann, wandeln Organismen und Maschinen geordnete oder „verfügbare“ Energieformen (wie Sonnenlicht) in weniger geordnete Formen (wie Wärme) um.”

Alf Hornborg
Die einzige Mitgift aller Menschen

Georgescu-Roegen erinnert daran, dass die Sonne die einzige Mitgift bereitstellt, die wir erhalten werden. Sie kann aufgeteilt werden in (A) die gespeicherte Sonnenenergie, also den “Vorrat (stock)” an Energie hoher Ordnung “auf oder innerhalb des Erdballs” und (B) den “Zufluss (flow) von Sonnenenergie, dessen Intensität mit dem entropischen Abbau der Sonne langsam aber stetig schwindet”.

Industrielle Revolution

Doch mit der Industriellen Revolution haben wir entdeckt, wie wir den Vorrat an Sonnenenergie, der innerhalb der Erde verborgen war, plündern können. Wir waren nicht mehr an den gemächlichen Zufluss der Sonne gebunden, sondern konnten mithilfe einer Maschine, hunderte Millionen Jahre an geballter Sonnenenergie verbrauchen.

Der Metabolismus einer Maschine

Worüber die Menschen dabei hinwegblickten: Auch Maschinen haben einen Metabolismus. Wie ein Mensch muss auch eine Maschine zuerst mit Energie und Materie gefüttert werden, bevor sie ihre Metall-Ärmel hochkrempeln kann. Ohne Zufuhr von Kohle, Öl oder Strom und Baumwolle oder Eisenerz würde sie sich in ihrer Produktivität nicht von einem Stein unterscheiden. Genau wie ein biologischer Organismus steht also auch ein technischer Mechanismus im ständigen materiellen Austausch mit seiner Umwelt. Genau wie ein biologischer Organismus nimmt eine Maschine Energie und Materialien höherer Ordnung auf und scheidet Energie und Materie mit niedriger Ordnung wieder aus. Wir können es als Fakt hinnehmen, erklärt Georgescu-Roegen, dass niedrige Entropie eine notwendige Eigenschaft einer Sache ist, um für uns nützlich zu sein. Zur Befeuerung ihrer mechanischen Arbeit verbraucht die Maschine im Produktionsprozess einen Teil der zugeführten Ordnung, die sie aus der Energie schöpft (Energie kann nicht verbraucht werden) und scheidet, was sie nicht verwerten konnte, als Abfallprodukt wieder aus. Das berühmteste Exkrement der Maschine ist heute wohl CO2 (1971 sah Georgescu-Roegen nur den entstehenden “Abfall” und die “Umweltverschmutzung”). Wie allen Organismen muss einer Maschine deshalb mehr Ordnung zugeführt werden als sie abwirft. Sie erfordert einen asymmetrischen Fluss von Energie und Ressourcen in ihren Schlund. Das sagt uns das Gesetz der Entropie.

Man vs Machine

Eine Maschine kann viel mehr Energie verdauen als ein Mensch. Der Mensch ist darauf angelegt, die eintreffende Energie der Sonne zu nutzen. Eine Maschine wurde konzipiert, um die hochkonzentrierte Energie, die über Millionen von Jahren gesammelt wurde, zu nutzen — und die Thermodynamikgesetze wurden ursprünglich entwickelt, um diesen Verwertungsprozess möglichst effizient zu gestalten. Es sollte noch 100 Jahre dauern bis Georgescu-Roegen die Bedeutung dieser Gesetze für den Wirtschaftsprozess erkannte.

Je mehr Energie ihr zur Verfügung steht, desto mehr Ordnung verschlingt ihr Schlund — unwiederbringlich, wie Georgescu-Roegen betont.

Unwiederbringlich

Wäre die Ordnung wiederbringlich, so würden wir 2022 nicht in einer Gaskrise stecken. Wir könnten das vorhandene Gas in Deutschland einfach immer wieder verwenden, um unseren Gasdurst zu stillen.

Bei der Herstellung von Kupferplatten trennen “… wir lediglich die Kupfermoleküle von allen anderen ab, aber um dieses Ergebnis zu erreichen, haben wir unwiderruflich eine größere Menge an niedriger Entropie verbraucht als die Differenz zwischen der Entropie des fertigen Produkts und der des Kupfererzes. Die freie Energie, die bei der Produktion zur Ausübung mechanischer Arbeit – durch Menschen oder Maschinen – oder zur Erwärmung des Erzes verwendet wurde, ist unwiderruflich verloren.“

Nicholas Georgescu-Roegen
Wirtschaft ernährt die Maschine

Wie viel Ordnung unseren Maschinen als Nahrung zur Verfügung steht, organisiert der “wirtschaftliche Prozess”. Maschinen arbeiten nur, wenn die Wirtschaft ihnen einen asymmetrischen Zufluss an Energie und Materie bereitstellt. Alf Hornborg hat deshalb den Stoffwechsel von Maschinen “soziometabolisch” getauft.

“…technologische als auch biologische Systeme sind ohne spezifische Strukturen des materiellen Austauschs mit ihrer Umwelt nicht realisierbar. Wir organisieren den materiellen Austausch für technologische Systeme mit Hilfe unserer Wirtschaft.”

Alf Hornborg

Was unterscheidet den natürlichen Prozess vom wirtschaftlichen Prozess? Beide erzeugen Entropie, sind also “entropisch”. Aber Wirtschaftsmodelle misrepräsentieren die Produktion als schöpferischen Prozess, begriff Hornborg plötzlich als er das Buch las.

Was wir herkömmlich als “Wertschöpfung” bezeichnen, zehrt in Wirklichkeit die Qualität unserer Mitgift unwiederbringlich auf. Die Idee vom (wirtschaftlichen) Wert ist eine kulturelle Idee. Denn bei der Produktion von Wert geht “die Kraft der Energie oder die Qualität der Materialien systematisch verloren”. Doch seit den 1870er Jahren (der sogenannten marginal revolution) müssen sich neoklassische Ökonomen keine Gedanken mehr über die “materielle Substanz” des Welthandels machen. Zum Höhepunkt des britischen Imperialismus und während der Entdeckung der Thermodynamikgesetze, gingen sie dazu über nur noch menschliche Präferenzen, in Gleichgewichtspreisen ausgedrückt, zu betrachten und nicht mehr Arbeit, Land, Energie und andere Faktoren.

Wenn man nur auf das Geld schaut, sieht man, dass Geld in einem Kreislauf von Hand zu Hand wandert. Dies widerspricht der thermodynamischen Realität, die linear ist. Geld verschleiert die Realität, dass unser Wirtschaftsleben sich von niedriger Entropie ernährt.

Wenn die Wirtschaft so zerstörerisch ist, warum betreiben die Menschen sie dann? Die einfache Antwort ist, dass es den Menschen um das geht, was sie für wertvoll halten, und nicht um das, was Georgescu-Roegen „negative Entropie“ nannte. Die Menschen treiben diesen Prozess voran, um uns ein angenehmes Leben zu ermöglichen, welches er “Lebensgenuss” taufte.

Das “wahre” Produkt

Das “wahre Produkt” des Wirtschaftsprozesses ist kein materieller Fluss oder das, was am anderen Ende der Produktion herauskommt, sondern ein psychischer Fluss, unser “Lebensgenuss”. Lebensgenuss kann man nicht in einer Lagerhalle horten. Um uns zu jeden Zeitpunkt mit der richtigen Menge an Lebensgenuss zu versorgen, greifen wir auf das Instrument Geld zurück, erklärt Georgescu-Roegen.

Geld belohnt Entropie

Doch Geld belohnt gleichzeitig die Ressourcenverschwendung. “Je mehr Öl wir in diesem Jahr verbrannt haben, desto mehr Öl können wir uns nächstes Jahr leisten.” beobachtet Hornborg. Allein um die Instandhaltungskosten zu stemmen, muss eine Fabrik ihre Produkte teurer verkaufen, als sie die Rohstoffe einkauften — obwohl die Produktion die Gesamtordnung auf der Welt verringert oder, mit anderen Worten, die Abfallmenge erhöht. Wir betrachten Industrieprodukte als wertvoller. Dabei stellen die teureren Outputs mehr Verschwendung dar als die billigeren Inputs.

In der heutigen Logik unserer Wirtschaft wird also Ressourcenverschwendung mit Profit belohnt, der den Fabrikbesitzern wieder mehr mehr Ressourcen zum Verschwenden zur Verfügung stellt. Denn Geld ist nichts anderes als ein Anspruch auf die Ressourcen von anderen. Hornborg begriff: Dadurch, dass die Outputs teurer sind als die Inputs, werden Unternehmen dafür belohnt, Ordnung zu verringern und Umweltverschmutzung zu erhöhen — indem sie Profit erhalten, mit dem sie noch mehr Ressourcen erwerben können, deren Ordnung sie wiederum zerstören können.

„Gemäß dem Zweiten Satz der Thermodynamik wissen wir, dass der Output eines jeden technischen Systems weniger verfügbare Energie oder produktives Potenzial darstellt als der für seine Herstellung erforderliche Input. Um lebensfähig zu sein, muss ein technisches System also durch ökologisch asymmetrische Ressourcenströme fortbestehen. Diese Abhängigkeit der Technik von ungleichem Austausch nicht zu sehen, ist das, was ich Maschinenfetischismus genannt habe.“

Alf Hornborg
Hornborgs Zusatz

Was Georgescu-Roegen damals nicht sah, war der Verteilungsaspekt, den Hornborg aufgrund seiner Ausbildung in der Weltsystemtheorie erkannte. Auch wenn Georgescu-Roegen selbst nicht über Ungleichheit und Verteilung nachdachte, führte seine Perspektive Hornborg zu einer neuen Einsicht. Er begriff: Geld und Technologie sind soziale Arrangements, die einige Menschen dazu befähigen, mehr Energie zu verbrauchen als andere. “Technik ist ein Weg, sich Zeit und Raum von anderen Teilen des Weltsystems anzueignen.”, geregelt durch die Marktpreise.

Rückzug aufs Land

Doch so aufregend diese Erkenntnisse für den jungen Studenten auch waren, Hornborg war noch nicht bereit, sich nach seinem BA-Diplom im Jahr 1976 in ein reguläres akademisches Leben einzufügen. So kehrte er im Alter von 23 Jahren zusammen mit seiner Frau Anne-Christine der modernen Gesellschaft den Rücken und begann auf dem elterlichen Hof im ländlichen Schweden an der Ostseeküste Schafe zu züchten. Ihre Frustration über die Zerstörung und Ungerechtigkeit in der Welt bewegte sie dazu, nicht länger zur Verwüstung der Erde mitzuwirken und fortan von dem zu leben, was ihr Land und ihre Schafe hergaben. Für sie war „ein Leben auf dem Land in jeder Hinsicht besser (Ökologie, globale Gerechtigkeit, Moral und Gesundheit)“, erklärt er.

Er träumte davon, als unabhängiger Denker Bücher zu schreiben.

Ein Doktortitel für seine Schafe

Doch die Realität rüttelte ihn aus seinen Träumen. Mehr als Wolle brachten ihm seine Schafe (fast 190 Mutterschafe) einen wachsenden Schuldenberg ein, der ihn schließlich dazu zwang, sich nach einer anderen Einkommensquelle umzusehen. Er sah sich gezwungen, seine intellektuellen Fähigkeiten anzubieten, um die Schafe durchzufüttern. Er bewarb sich um eine Doktorandenstelle an der anthropologischen Fakultät der vier Stunden entfernten Universität Uppsala und bekam die Stelle. Mit dem Beginn seiner Promotion im Jahr 1980 finanzierte sein akademisches Leben seinen Traum von der Farm. Hornborg scherzt gerne mit seinen Studenten, dass er Schafe wollte, um seine Forschung zu finanzieren, aber nun müsse er forschen, um die Schafe zu finanzieren. Auch sein Ehrgeiz schmunzelte, als er diese Entscheidung traf, gibt er zu. Das Leben auf dem Bauernhof war einsamer als in seinem Traum.

Es fiel ihm schwer, die Relevanz seiner Dissertation „Dualismus und Hierarchie im südamerikanischen Tiefland: Entwicklungslinien der indigenen Sozialorganisation“ zu erkennen. Das Thema erschien ihm wie eine Abschweifung von seinen Hauptinteressen. Seine Doktorvaterin, Anita Jacobson-Widding, spürte seine Verzweiflung und erinnerte ihn daran, dass er seinen „Führerschein“ machen müsse, bevor er mit seinen Forschungen nach Belieben herumfahren könne.

Abstecher in die Politik

Da er sich weiterhin aktiv für eine bessere Welt einsetzen wollte, half er bei der Gründung der Grünen Partei in Västervik und saß im örtlichen Stadtrat.

Die Unterstützung seiner Frau schwand jedoch zunehmend. Wegen seiner zahlreichen Verpflichtungen in der Ferne saß sie oft mit zwei kleinen Kindern auf dem Hof, von dem aus nachts kein zweites Licht zu sehen war. Seine Frau stellte ihm ein Ultimatum: “Entweder Politik oder Wissenschaft”.

Über die Antwort brauchte er nicht lange nachzudenken. Sogar der Bauernhof war letztendlich dafür gedacht, seine intellektuellen Interessen zu wahren. Er hat sein Versprechen gehalten und sich seither von der Politik ferngehalten. Hat er die richtige Wahl getroffen? Daran hat er nie gezweifelt.

Seit Anfang der 2000er Jahre hat er versucht, alle 10-12 guten wissenschaftlichen Artikel in einem Buch zu bündeln. Das erste Buch, The Power of the Machine, wurde 2002 veröffentlicht, das (bisher) letzte, The Magic of Technology, 2022. Er räumt ein, dass diese Methode bedeutet, dass die Kapitel seiner Bücher oft nicht sauber übereinander gestapelt sind, was zu einigen Überschneidungen zwischen Büchern und Kapiteln führt. Diese Methode hat jedoch den Vorteil, dass jedes Buch seine Botschaft auf eine etwas andere Art und Weise wiederholt und dabei unterschiedliche Argumente verwendet, die an unterschiedliche Zielgruppen angepasst sind.

Der Beitrag eines Anthropologen

Wie aber können Anthropologen zum Aufbau einer gerechteren Welt beitragen?

Viele assoziieren die Arbeit von Anthropologen mit den Beschreibungen exotischer indigener Völker. Als Kind war er fasziniert von den prähispanischen Kulturen in Peru und davon, wie die indigenen Völker im Gleichgewicht mit ihrer Umwelt zu leben schienen. Aber ethnografische Berichte trugen nicht dazu bei, dass wir im globalen Norden besser auf die Welt Acht gaben, musste er feststellen. Er wollte keine weiteren Ethnografien (anthropologische Feldnotizen) über individuelle lokale Erfahrungen mit Nachhaltigkeit schreiben. Wie konnten sie uns helfen, besser zu verstehen, warum wir im Westen das Land dieser Völker zerstört haben?

Nach seiner Promotion im Jahr 1986 wandte er sich von den indigenen Völkern ab – und der westlichen Welt zu, insbesondere einer Kultur: der der Ökonomen. Hornborg versteht „das moderne ökonomische Denken als ein kulturelles System“. Seine Ausbildung als Anthropologe hat ihn vor allem eines gelehrt: einen verfremdeten Blick auf das Vertraute zu werfen. George Marcus und Michael Fischer gaben dieser Fähigkeit im selben Jahr den Namen „Verfremdung durch kulturübergreifende Gegenüberstellung“. Ein Anthropologe versucht, die Dinge, die wir in unserer eigenen europäischen Kultur für selbstverständlich halten, so anzusehen, als ob er sie zum ersten Mal erblickt. Während wir unsere Institutionen als die einzig möglichen betrachten, zeigt uns die Anthropologie, dass die Dinge auch anders gemacht werden können. Für Hornborg war klar, dass Geld für den modernen Menschen “wie Wasser für Fische” ist. Wir nehmen es als selbstverständlich hin, wir sehen es nicht. Mit dieser ungewöhnlichen Perspektive versuchte er, die unsichtbaren Verbindungen zwischen unserem privilegierten Leben und dem Leben anderer Menschen im globalen Süden aufzuzeigen.

„Die greifbare Erfahrung … entfernter Lebenswelten im globalen Süden steht im Mittelpunkt der meisten ethnografischen Fallstudien, aber die Ethnografie allein ist in der Regel nicht in der Lage, diese entfernten Erfahrungen von Bauern, Bergarbeitern und Sweatshop-Arbeitern mit dem im Allgemeinen privilegierten Leben der Ethnografen selbst zu verbinden.“

Alf Hornborg

Nachdem er 1986 promoviert hatte, erhielt er eine Stelle in Uppsala und begann, Studenten in Wirtschaftsanthropologie zu unterrichten. Diese Stelle verschaffte ihm genügend Freiraum, um zu dem Projekt zurückzukehren, die Gedanken von Georgescu-Roegen und der Weltsystemtheorie zusammenzuführen.

Geistesblitz

Als Hornborg eines Abends in 1990 von der Universität nach Hause auf seine vier Stunden entfernte Farm fuhr, hatte die dunklen Straßen für sich alleine. Seine Gedanken hingen noch bei den Studenten in Uppsala und ihren Fragen nach seiner Vorlesung über Wirtschaftsanthropologie. In seinen Ohren hörte er das Tonband der Diskussion vom Abend nochmal ab, und nochmal.

Und dann traf ihn ein Schlag. Kein Elch und auch kein Ast hatte seine Windschutzscheibe gerammt. Ein Feuerwerk im Gehirn riss ihn aus seinen Grübeleien. Plötzlich machte alles Sinn, alles passte. Seine Müdigkeit war verflogen, er war hellwach. Es war als hätte jemand entlang der dunklen Straße leuchtende Straßenlampen aufgestellt. Jetzt wollte er so schnell wie möglich nach hause. Die Heimfahrt zog sich länger denn je. Hatte sie immer so lange gedauert? Sein Volvo wollte nicht schneller fahren, die Straße nicht kürzer werden.

Als er um 2 Uhr morgens auf den Schotterweg seiner Farm abbog, fühlte er keine Müdigkeit. Zu groß war die Aufregung. Der Schreibtisch rief nach ihm — und er schrieb und schrieb — bis in die Morgenstunden.

Aus dieser einsamen Fahrt im ländlichen Schweden entstand sein erster “wirklicher” wissenschaftlicher Artikel, eine Professur und 30 Jahre Forschung.

Der erste Artikel

Nach vielen weiteren Stunden des Tüftelns am Schreibtisch und mit der redaktionellen Unterstützung von Tim Ingold wagte er schließlich den Schritt, seine Erkenntnisse offiziell mit anderen zu teilen. Sein erster Artikel, der einen “wirklich innovativen Beitrag””bot, wie Hornborg es nennt, erschien 1992 in der angesehenen britischen Zeitschrift “MAN” (die heute „The Journal of the Royal Anthropological Institute“ heißt, wahrscheinlich weil der Titel die andere Hälfte der Menschheit ausschloss).
Doch seine Botschaft erreichte 1992 nur wenige Menschen. Die Sprache war zu akademisch für eine Sonntagabendlektüre im Sessel, und die Implikationen waren zu unattraktiv — angesichts der Alternative, die die Rio-Konferenz 1992 versprach.

Rio setzt auf den technischen Fortschritt

Das Übereinkommen von Rio 1992 erkannte an, dass der Klimawandel wahrscheinlich weitgehend vom Menschen verursacht ist. Es schien jedoch darauf bedacht zu sein, den Prozess der globalen Erwärmung isoliert vom wirtschaftlichen Prozess darzustellen. Die UNFCCC betonte, dass die Lösung des Problems die Wirtschaft nicht beeinträchtigen dürfe. Lösungen sollten kosteneffektiv sein und den freien Handel oder das Wirtschaftswachstum nicht beschränken.

Stattdessen hoffte man, dass technischer Fortschritt die Probleme löst. Der menschliche Erfindungsreichtum wird auch eine Lösung für den Klimawandel finden, solange Unternehmer in ihrem Wirtschaften ermuntert und nicht gestört werden. Schließlich sei es gelungen durch die Montreal Konvention 1986 mit neuen technischen Entwicklungen unsere Kühlschränke umzurüsten, die der Menschheit Jahre zuvor den Ozonloch-Schrecken eingejagt hatten. Eine attraktive Idee, die in Rio eifrige Anhänger fand.

Physikalisch möglich, aber auch gesellschaftlich machbar?

Hornborgs Artikel schlug eine andere Analyse vor, die eine andere Lösung für den Klimawandel erforderlich machen würde. Hornborg stellte nicht den technischen Einfallsreichtum der Menschen seit dem 18. Jahrhundert in Frage. Er fragte vielmehr, wie nützlich diese Methode ist, um uns aus der Klimakrise herauszumanövrieren. Wie Hornborg in seinem Artikel zu vermitteln versucht, sind Technologien nicht einfach nur ein Werkzeug. In vielen Fällen erscheint eine Technologie nur aus lokaler Sicht produktiv oder effizient, während sie Arbeit und Umweltbelastungen auf andere Bereiche verlagert.

Erst wenn wir die Ressourcenströme, die in die Maschine fließen, auf globaler Ebene nachverfolgen, anstatt unsere Perspektive auf eine bestimmte lokale Fabrik oder ein einzelnes Land zu beschränken, wird der sozio-metabolische Prozess einer Maschine sichtbar. Diese Ressourcenströme werden sichtbar, wenn wir sehen, wie der gesellschaftliche Austausch und der Austausch mit der Natur miteinander verwoben sind. Dann erst wird die Spannung zwischen Entropie und globalem Markt deutlich. Diesen Prozess nennt er “ökologisch ungleicher Austausch” (ecologically unequal exchange).

“Was technisch machbar ist, ist letztlich eine Frage der Kaufkraft, aber die beiden Überlegungen werden ontologisch getrennt gehalten, als ob der Zugang zur Technologie und der Zugang zum Geld getrennte Fragen wären.”

Alf Hornborg

Ökologisch ungleicher Tausch

“Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass, so sehr man auch suchen mag, keines der zahlreichen Wirtschaftsmodelle, die derzeit existieren, eine Variable enthält, die für den beständigen Beitrag der Natur steht.”

Nicholas Georgescu-Roegen
Entropie lässt sich nicht austricksen

Georgescu-Roegen hatte versucht, deutlich zu machen, dass es nicht möglich ist, sich vor der Entropie zu verstecken oder sie zu ignorieren.

Doch genau diese Hoffnung steckt hinter der Annahme, dass wir Umweltverschmutzung (den Verlust an Ordnung) vermeiden können, wenn wir bloß umweltfreundliche Industrietechniken einsetzen. Egal mit welcher innovativen Technik Maschinen betrieben werden, aus dem Gesetz der Entropie folgt, dass “größere und verbesserte” Maschinen auch “größere und verbesserte” Umweltverschmutzung bedeuten, erklärt Georgescu-Roegen.

2016 hielt ein Assessment Report für das UN-Umweltprogramm UNEP fest, dass global heute “mehr Material pro BIP-Einheit benötigt” wird als früher. So geht auch Ursula von der Leyen davon aus, dass sich unser Bedarf an seltenen Erden und Lithium in der EU bis 2030 verfünffachen wird — und so liegt die Rohstoffstrategie der Bundesregierung auch auf dem Zugang zu Rohstoffen im Ausland, der durch Handelsabkommen gesichert werden soll.

Erfindungsreichtum reicht nicht

Die Idee vom “technischen Fortschritt” kann in die Zeit der industriellen Revolution zurückverfolgt werden. Seit dem gab es auch viele soziale, medizinische und technische Verbesserungen, sieht auch Hornborg. Diese möchte er auch nicht schmälern. Doch er möchte darauf hinweisen, dass herkömmlich gerne ein Teil der Voraussetzungen für technischen Fortschritt übersehen wird. Menschlicher Erfindungsreichtum ist zwar eine notwendige aber nicht hinreichende Voraussetzung.
Warum ist die Dampfmaschine erst in England möglich?

Über die Dampfmaschine hat man schon im antiken Ägypten, Griechenland und China nachgesonnen. Nützlich wird eine Idee oder ein Patent jedoch erst, wenn es umgesetzt wird. Warum wurde die Dampfmaschine also erst mit dem britischen Imperialismus realisiert? Joseph Inikori zeigte 1989: Es war der Sklavenhandel, der die Rahmenbedingung für diese Innovation in der Textilbranche in England schuf. Erst der Bedarf nach billiger Baumwollbekleidung für den Sklavenkauf in Afrika und die baumwollpflückenden Sklaven in Amerika schufen erst den Absatzmarkt für Baumwollfabriken, die auf Dampfmaschinen statt Wasserkraft setzten (cf. Malm 2016).

Macht die Industrialisierung Land überflüssig?

Durch die Zusammenführung von Weltsystem-Theorie und Georgescu-Roegen begriff Hornborg, dass die Verdauung an Ordnung (niedrige Entropie) des globalen Nordens seit der industriellen Revolution eskalierte. Wie war das möglich? Dank des Imperialismus stand der Norden das erste Mal in einem wirklich globalen Einkaufsladen.

Am Ende des 19. Jahrhundert konnte England auf Land zurückgreifen, das ein Vielfaches seiner Größe war, und von diesem Land die Früchte der Sonnenenergie, einschließlich der Arbeitskraft der Menschen, ernten. Hornborg begriff, dass die Grenzen des Wachstums, die Malthus (1798 mit aus heutiger Sicht geschmackloser Darlegung) vorhergesagt hatte, nicht überwunden wurden, wie viele annahmen, die sich über Malthus lustig machten, “sondern nur aus dem Blickfeld gerückt” waren. Sein Zeitgenosse Ricardo hatte ebenso Recht, dass der britische Zugriff auf den Produktionsfaktor Kapital für den Mangel an Land kompensieren konnte. Denn Kapital ermöglichte es den Engländern, Land außerhalb ihrer Insel zu beanspruchen. Beispielsweise verbrauchten zu Beginn der Industrialisierung die englischen Eisenerzimporte aus Schweden rund 1 Millionen Hektar schwedische Wälder.

„Letztlich ging es bei all den Investitionen in die intensivierte Massenproduktion darum, dass England dadurch Zugang zu immer mehr Ressourcen jenseits seiner eigenen Bodenfläche erhielt.“

Alf Hornborg

Mit seinem globalen Blick realisierte Hornborg, dass der Abbau von fossiler Energie Land nicht überflüssig machte, sondern vielmehr den Zugang zu Land außerhalb des eigenen Territoriums erweiterte. “Fabriken waren finanziell abhängig von der billigen Aneignung von amerikanischem Land und afrikanischer Arbeit durch den Baumwollhandel, und einige Teile der frühesten industriellen Infrastruktur Großbritanniens waren physisch abhängig von einem massiven Import von baltischem Land und Arbeitskräften, die in Stabeisen enthalten waren.”

Mit anderen Worten: Die billige Aneignung von amerikanischem Land und afrikanischen Arbeitskräften machte den Betrieb großer Fabriken erst rentabel.

“Die vertikale Förderung von Energie aus fossilen Brennstoffen machte ökologisch produktives Land für die Wirtschaft nicht überflüssig, sondern verstärkte und erweiterte den britischen Zugang zu den peripheren Landgebieten, die die Akkumulation der Dampftechnologie überhaupt erst ermöglicht hatten.”

Alf Hornborg
Die lange Tradition ungleichen Austauschs

Ungleiche Tauschverhältnisse gab es schon in den ersten Imperien. Bei den Inkas zum Beispiel lud der Kaiser seine Untertanen ein, auf seinen Feldern zu arbeiten und erhielt dafür Maisbier, das nur einen Bruchteil der Ernte ausmachte.

Nicht nur der “Markt” kann ungleichen Austausch organisieren. Tribut-Systeme, wie die der Inka, schafften das ebenfalls. Die Inka pflegten komplexe Handelsnetzwerke über die viele tausende Menschen wertvolle Waren, insbesondere Ara-Federn aus dem Regenwald und Stachelmuscheln aus dem Meer, über ganz Südamerika zu den Königshäusern in den Anden trugen. Imperien expandierten, um noch mehr Land und Arbeitskräfte zu ergattern (Scott 2018).

Auch in der Bronzezeit war die Herstellung von Bronze nur mit globalen Ressourcenflüssen in die Werkstätte der Bronze-Metallurgen möglich. Was sich vor 250 Jahren bei der Industrialisierung änderte, war die Skala des ungleichen Austauschs. Er wuchs auf ein Ausmaß an, der uns sogar ermöglichte, das Klima zu verändern.

Dass die Errungenschaften von den antiken Zivilisationen, wie den Pyramiden in Ägypten oder den Kolosseum in Rom, auf Ausbeutung und Sklaverei beruhte, erkennen wir oft willig an, sagt Hornborg. Doch es falle uns schwer, das gleiche Prinzip in unserer eigenen Welt zu erkennen. Vielmehr betrachten wir, wie Elon Musk, Ingenieure als Magier, die Unglaubliches möglich machen. Lokal betrachtet mag das stimmen, doch global gesehen, können die Ideen der Ingenieure erst durch Einverleibung umgesetzt werden.

“Die Aufgabe der Ingenieurswissenschaften und der herrschenden Wirtschaftslehre besteht darin, den globalen Stoffwechsel effizient zu betreiben. In beiden Bereichen setzen die Menschen physikalische Materialien und Energie ein, um die gesellschaftlichen Ungleichheiten zu organisieren, aber in keinem der beiden Bereiche werden die Verhältnisse, in denen diese physikalischen Ressourcen angeeignet werden, als relevant für die Gültigkeit und Wirksamkeit der grundlegenden Lehren angesehen.”

Alf Hornborg
Wirtschaftslehre braucht keine Rohstoffe

Warum fällt es Europa so schwer, sich ungleichen Austausch einzugestehen? “Die Etablierung der neoklassischen Wirtschaftslehre” in den 1870er Jahren, stellte Hornborg fest, befreite “die Kapitalakkumulation von moralischen Vorwürfen hinsichtlich der Asymmetrie der biophysikalischen Ressourcenströme.” Zur gleichen Zeit als die materielle Verdauung in England eskalierte, verbannte die englische Wirtschaftslehre mit der “Marginal Revolution” die materielle Substanz aus ihren Modellen.

Die klassischen Ökonomen Smith, Ricardo und Marx waren sich der Arbeit, die in ein Produkt floss, noch sehr bewusst. Als die neoklassischen Wirtschaftswissenschaftler anfingen, nur noch die menschlichen Präferenzen (Utility), einer Transaktion zu betrachten wurden Warenströme und Arbeit unsichtbar und jede Markttransaktion per Definition gerecht.

Daher liegt der ungleiche Austausch, den Hornborg so deutlich sah, einfach außerhalb des Horizonts der Mainstream-Ökonomie. Ökonomen beobachten nur die Geldströme, und diese scheinen fair zu sein – solange keine Partei ein Monopolist ist und beide ihre vertraglichen Verpflichtungen einhalten.

Asymmetrien enthüllen

Hornborg hat den Vorhang des Geldes hochgezogen und sich auf die Ströme von Arbeitsstunden (Arbeit), Bodenfläche (Land), Joules (Energie) und Tonnen an Ressourcen (Materie) fokussiert. Frachtschiffe transportieren schließlich nicht Geld, sondern Ressourcen, in denen Arbeit, Energie, Land und Materie steckt.

Das Quantifizieren von Nettoressourcenströmen enthüllt eine Asymmetrie, die Hornborg “ökologisch ungleichen Austausch” taufte. Erst, wenn Kennzahlen nicht in Geld ausgedrückt werden, wird das Ausmaß des ungleichen Austauschs sichtbar. Immer mehr Forscher haben in den letzten Jahren ihre Berufung darin gefunden, diese Flüsse zu quantifizieren. Hornborg und Dorninger (2015) zeigten beispielsweise, dass im Jahr 2007, ein 3-Personen-Haushalt in den USA eine Person außerhalb der USA beschäftigte, die für sie Vollzeit arbeitete.

Ein 3-Personen-Haushalt in Japan belegte durchschnittlich 3 Hektar Land außerhalb von Japan. Doch um den ungleichen Austausch zu erkennen ist es nicht notwendig, Statistiken zu wälzen. Ein Blick auf die nächtliche Beleuchtung unserer Erde zeigt, wie ungleich materielle Infrastruktur und Technik dank der ungleichen Verteilung des Geldes noch verstreut sind.

Ohne moralische Bewertung

Hornborg macht deutlich, dass ungleicher Tausch lediglich asymmetrisch bedeutet. “Ob es auch ungerecht ist, bleibt der moralischen Bewertung des Lesers überlassen.”

Fortschritt oder Verschiebung?

Aus diesem Blickwinkel wird auch deutlich, dass die Errungenschaften der Technik einzeln analysiert werden müssen, um zu sehen, ob hinter ihnen vielleicht nur eine Verschiebung physischer Grenzen steckt.

Waren die höheren landwirtschaftlichen Erträge der „grünen Revolution“ nur dank der Einfuhr von Phosphaten und Öl aus anderen Teilen der Welt möglich?

Wurde das Müllproblem in Deutschland durch das konsequente Recycling der deutschen Bevölkerung gelöst — oder eher dadurch, dass wir nun unsere Altkleider, Elektronik, Autos und Kunststoffe jetzt nach Asien und Afrika verschiffen?

Können die Bauern im ausgetrockneten Kalifornien nur auf leistungsstarke Wasserpumpen zur Bewässerung ihrer Felder zurückgreifen, weil die nötigen Ressourcen asymmetrisch zu ihnen fließen — dank für sie günstiger Preisbeziehungen? Der Herrscher der Inka nutzte den vom Sonnengott ihm gespendeten Regensegen ein, um seine Untertanen davon zu überzeugen, für ihn die Feldern zu pflügen, kalifornischen Bauern nutzen Geld, um an das Öl zu gelangen, das ihre Pumpen erst belebt. Auf wie viel Öl ein Bauer zugreifen kann, entscheiden die “gesellschaftlich festgelegte Preise, zu denen Öl auf dem Weltmarkt gegen amerikanische Exporte getauscht wird”. In beiden Fällen erwecken subjektive Überzeugungen und Vereinbarungen den Anschein einer unanfechtbaren Kausalität.

Zeit-Raum-Aneignung

Aufgrund globaler Preisunterschiede werden ständig höchst ungleiche Mengen an Raum (Ressourcen) und Zeit (Arbeit) auf der ganzen Welt gehandelt. Moderne Technik erlaubt den Menschen, die die Technik besitzen, lokal Zeit und Raum zu sparen — zu Lasten von denen, die sich die Technik nicht leisten können. Hornborg nennt diesen Prozess „Zeit-Raum-Aneignung“. Hornborg erkannte, dass Geld und Technologie als soziale Arrangements dienen, die es einigen Menschen ermöglichen, mehr Energie zu verbrauchen als andere. Viele Menschen erkennen, dass die Menge an Energie, die der Einzelne verbrauchen kann, zwischen und innerhalb von Ländern stark variiert. Dass Geld ein Werkzeug ist, “um Energie über Zeit und Raum zu transportieren” sehen auch Technikbegeisterte, wie der Unternehmer und Bitcoin Investor Michael Saylor. Was Hornborg interessierte, war der darunter liegende Verteilungsmechanismus.

“…zum Beispiel in dem berühmten TED-Vortrag „The Magic Washing Machine“ des verstorbenen Hans Rosling, der die wundersame Fähigkeit von Waschmaschinen feiert, den Menschen Zeit beim Waschen zu ersparen — ohne auch nur einen Gedanken an die Niedriglohn-Arbeitszeit zu verschwenden, die in ihre Herstellung, den Abbau der benötigten Materialien und den Transport zu denjenigen, die sie sich leisten können, investiert wird.”

Alf Hornborg
Arbeitet die Maschine auch ohne internationalen Zufluss?

Nach Hornborg benötigen nicht alle Technologien einen asymmetrischem Austausch. Der Prozess des ungleichen Austauschs bezieht sich auf jene Formen von Technik, die auf internationalen Geld- und Warenflüsse angewiesen sind. Mit anderen Worten: Wir befassen uns mit den Technologien, die vom globalisierten Markt abhängig sind.

Lokaler Illusion vorbeugen

“Könnte die Verbrennung von Weidenbüschen wirklich genug Energie liefern, um den Energieaufwand zu kompensieren, der bei der Herstellung von Maschinen zum Anpflanzen, Düngen, Ernten, Transportieren, Hacken und Verbrennen dieser Sträucher sowie den Verbrauch von Kraftstoffen und Düngemitteln verschlungen wird? … Ich bestreite nicht, dass Energie durch die Biokraftstoffe erschlossen werden kann, sondern nur, dass diese Art der Energiegewinnung nicht als möglicher Ersatz für fossile Energie im entscheidenden Umfang angesehen werden kann.”

Alf Hornborg

Vor dem Einsatz von neuer Technik sollte laut Hornborg gefragt werden, ob sie Arbeit wirklich ersetzt oder eine soziale Strategie verkörpert, Arbeits- und Umweltbelastungen in die Peripherie zu verschieben. In vielen Fällen, die Hornborg analysiert hat, bedeutet Technik Umverteilung der Arbeit, nicht Ersatz. Auch digitale Technik, zeigte Astra Taylor, beruht in vielen Fällen auf dieser Verlagerung. Wenn wir lokal auf Technik als Lösung setzen, ist es deshalb wichtig, immer auch die globalen Beziehungen zu betrachten, die sie möglich machen.

“Eine vollständige Ökobilanz, die nicht nur die weltweit entnommenen Materialien, Energie und Arbeitskraft umfasst, die in der Infrastruktur enthalten sind, sondern auch alle Ressourcen, die in Wirtschaftsprozessen mobilisiert wurden, mit denen das in die Infrastruktur investierte Geldkapital generiert wurde, ist ein sinnvolles Anliegen.”

Green New Deal nur für globalen Norden?

Der Green New Deal sei zwar eine tröstende und hoffnungsfrohe Narrative. Aber Hornborg zweifelt daran, dass dieser Deal auch nicht-reichen Ländern außerhalb des globalen Norden offen steht. Die Materialen und Energie für den Großausbau der Infrastruktur müsse irgendwo herkommen. Warum können wir uns diese aneignen? Das Kapital, das wir dazu verwenden, entspringt dem fossilen Energieverbrauch unserer Maschinen.

Entwicklung für alle möglich?

Nach Ansicht des Harvard Ökonoms Dani Rodrik zeigen die Statistiken, dass Wachstum und Produktivität eines Landes vor allem dann nachhaltig angekurbelt werden, wenn ein Land sich von der Extraktion von Rohstoffen abnabelt und auf den Ausbau seiner Industrie setzt, wie von Südkorea exemplifiziert. Doch dies wirft die Frage auf, ob wirklich allen Ländern “Entwicklung” offen steht. Ist Industrie in manchen Ländern nur möglich, weil sie von anderen Ländern, die noch Extraktion betreiben, die nötigen Rohstoffe zu günstigen Preisen erhalten?

Wird Entwicklung für alle Länder möglich, wenn es Elon Musk gelingt, seine Träume zu verwirklichen und den Mars zu besiedeln? In der Tat scheint er Hornborg unbewusst zuzustimmen, wenn er behauptet, dass eine Gruppe von Menschen ihren modernen Lebensstil nur aufrechterhalten kann, wenn wir unseren Ressourcenbedarf auf einen anderen Planeten auslagern. Wie Hornborg versteht er die Logik, wenn auch nur implizit: Alles nutzbare Land auf der Erde wurde kolonisiert, jetzt müssen wir anderswo nach Land suchen, das wir verbrauchen können.

Die zwei Aufgaben des Geldes

“Die globalen Bewegungen von Gütern und Umweltschäden sind zwei Seiten ein und derselben Medaille, die dem globalen Norden sowohl Quellen für neue Ressourcen als auch Auffangbecken für seine Stoffwechselabfälle bieten.”

Alf Hornborg

Der Durchbruch kam in jener Sommernacht, als Hornborg verstand, dass Geld diesen asymmetrischen Austausch verschleiert. Wir nutzen Geld für zwei Aufgaben: Es erlaubt manchen Menschen mehr Zeit und Platz zu beanspruchen als andere. Gleichzeitig verschleiert es den asymmetrischen Ressourcenfluss und erleichtert damit ihr Gewissen. Geld täuscht uns einen gerechten Welthandel vor — und wahrscheinlich sind wir dankbar dafür.

„Nur wenn wir gleichzeitig über den Fokus auf die nationale Wirtschaft hinausgehen und die materiellen Aspekte des Welthandels anerkennen, können wir den globalen soziometabolischen Kontext der Maschine erkennen.“

Alf Hornborg

Wie stoppen wir ökologisch ungleichen Austausch? Indem wir Geld neu entwerfen, ist Hornborg heute überzeugt.

Das gelegentliche „atemberaubende“ Feedback

Nur wenige Menschen haben Hornborgs Artikel von 1992 aufmerksam gelesen. Er kann die Personen, die seine Botschaft verstanden haben, an einer Hand abzählen. Zu ihnen gehörte der renommierte Soziologe Zygmunt Bauman. Hornborg hatte Bauman seinen Artikel nach einem Vortrag Baumans in Göteborg persönlich übergeben, weil er glaubte, dass dieser die Argumente zu schätzen wüsste. Aus dieser kurzen Begegnung wurde eine mehrjährige Briefkorrespondenz (vor dem Zeitalter der E-Mail). Bauman teilte Hornborg mit, dass er den Artikel „atemberaubend“ fand und zitierte ihn in seinem ein Jahr später erschienenen Buch Postmodern Ethics. Dieses Zitat erfüllt Hornborg immer noch mit Stolz und war die Art von Ermutigung, die der junge Wissenschaftler brauchte, um weiterzumachen.

Einige Jahre später erhielt er einen ähnlichen Brief von Andrew Sherratt, einem Archäologen in Oxford: „Jetzt, nachdem er es endlich sorgfältig gelesen hatte“, hatte er die Bedeutung der Ergebnisse begriffen.

Die Eckpfeiler waren gesetzt

Es mag so klingen, als würde er sich seit 30 Jahren wiederholen, räumt Hornborg ein, aber das sei nicht der Fall. Er hat weiter geforscht und die abstrakten Theorien vertieft. Heute sieht er einige der Behauptungen aus dem Artikel von 1992 ganz anders. Seine Meinung über den „Wert“ zum Beispiel hat sich um 180 Grad gedreht.

Professur in Lund

Endlich Freiheit: Kurz nach dem Artikel wurde Hornborg auf den Lehrstuhl des Human Ecology Departments der Lund Universität berufen. Der Artikel von 1992 gab Hornborg also die Möglichkeit, seine interdisziplinären Interessen zu erforschen. In Lund konnte er die „Herausforderungen der globalen Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ nach Belieben untersuchen. Auf seiner Suche nach neuen Erkenntnissen durchquerte er alle Disziplinen. In Lund konnte er Georgescu-Roegen auf den Lehrplan setzen, neben beispielsweise Karl Polanyi, Stephen Bunker, Marx und Levi Strauss.

Frustrierte Studenten

Doch seine Studenten drängten Hornborg zu der Frage, was man gegen den ökologisch ungleichen Austausch tun könne. Was kann getan werden, um diese Asymmetrie zu korrigieren?
Er erinnerte seine Studenten daran, „dass wir zuerst die Ursachen aufdecken müssen, bevor wir Lösungen finden können.“ Doch nach und nach entwickelte er einen konkreten Vorschlag, wie wir unser Geld neu gestalten könnten.

Diskussion über “Wert” verschleiert

Die unsichtbare Biographie eines Kühlschranks

Er erkannte damals, dass die Preise von Waren, die unsichtbare Biographie von Gütern verhüllen. Die Ressourcen und Arbeitsstunden, die bei der Extraktion der Ressourcen, der Produktion und dem Transport verschlungen wurden, sind aus dem Preis nicht erkenntlich.

Um diese im Wert eines Produkts zu beziffern, schlug Hornborg zunächst vor, den Gebrauchswert (Use Value) eines Produkts durch Exergy (negative Entropie) zu definieren — und vom Preis (Exchange Value) zu unterscheiden. Dadurch sollte deutlich werden, dass wir für die meisten Produkte zu wenig zahlen.

Warum eine bessere Bezahlung nicht die Lösung ist

Die Idee der Unterbezahlung beruht auf der Vorstellung, dass es einen „echten“, inneren Wert eines Produkts gibt, der einen höheren Preis erfordert. In den darauffolgenden Jahren wurde ihm jedoch klar, dass dieser Ansatz in eine Sackgasse führte.

Wert impliziert einen Preis

Die Idee eines objektiven Gebrauchswertes oder inneren Wertes impliziert einen universellen Maßstab: Geld. Wenn wir von der Unterbezahlung der Arbeit und der Ressourcen sprechen, die in ein Produkt geflossen sind, gehen wir implizit davon aus, dass sie einen korrekten Preis haben, der in Geld messbar ist. In der Tat wurde der Begriff „Wert“ erstmals im 15. Jahrhundert verwendet, um den Geldbetrag auszudrücken, den eine Ware auf dem Markt erzielen wird. Auch heute noch, so stellte Hornborg fest, impliziert die Rede vom Wert stillschweigend einen Preis.

Was ist der Unterschied zu Externalitäten?

Wenn man von Unterbezahlung rede, gehe man aus diesem Grund kaum über die Aussagen von neoklassischen Umweltökonomen hinaus, die von “Externalitäten” sprechen, die eingepreist werden müssen.

Würden die Maschinen verstummen?

Außerdem geht es beim Geschäft im Allgemeinen darum, einen Gewinn zu erzielen. Eine bessere Bezahlung würde in vielen Fällen einfach dazu führen, dass der Handel zum Erliegen kommt. Mit anderen Worten: Wenn der Kapitalismus für alle Unordnung, die er verursacht, bezahlen würde, würde er bankrott gehen.

Wenn man es richtig bepreisen würde (als Gedankenexperiment), sieht auch der Ökonom Prof. Steve Keen, entstünde eine negative Kluft. Wir müssen mehr Energie verbrauchen oder aufbrauchen, als wir im Produktionsprozess und in unserem Verbrauch freisetzen. Die Bilanz wäre also negativ, wenn wir die Produkte “richtig” bepreisen würden.

Verwechseln wir Wert mit Ressourcen?

Hornborg weiß, dass es keinen „objektiven Wert“ gibt, der auf der im Produkt verkörperten Arbeit oder den Ressourcen beruht. „Energie und Wert sollten nicht verwechselt werden“.
Er stellt fest, dass sich viele darüber empören, dass ein Produkt billiger ist als sein wahrgenommener innerer Wert (vgl. Patel und Moore 2018) und eine angemessenere Bezahlung fordern.

Die Suche nach dem wahren Wert

Doch was ist der wahre Wert einer Sache, der ihren Preis bestimmen sollte? Kann er in anderen Begriffen als Geld ausgedrückt werden, und wenn nicht, bedeutet dies, dass alles in der Natur und in der Gesellschaft einen Geldwert hat? Während Ricardo und Marx den Gebrauchswert der Arbeit sehen (Arbeitswerttheorie), wollen andere wie Stephen Bunker oder Michael Saylor den Preis an die Energie binden (Energiewerttheorie).

Hornborg glaubt nicht, dass es einen analytisch robusten Weg gibt, um von den objektiven Inputs an biophysikalischen Ressourcen (Arbeit, Energie, Materie), die in einem Produkt verkörpert sind, zur subjektiven Vorstellung des Geldwertes zu gelangen.

„Der Wert ist keine Eigenschaft der Natur, sondern eine soziale Beziehung.“ Jean Baudrillard und Marshall Sahlins haben in ihren anthropologischen Arbeiten gezeigt, dass alle menschlichen Bedürfnisse, die über das Am-Leben-Bleiben hinausgehen, an einen kulturellen Kontext gebunden sind. Wenn der Wert nur eine Projektion einer kulturellen Bewertung ist, dann ist die Vorstellung vom inneren Wert von Produkten eine Illusion. Wir denken, dass Gold und Silber von Natur aus wertvoll sind. Doch die Inka bauten komplexe Handelsnetze auf, um Spondylus-Muscheln und Ara-Federn, die sie für wertvoller hielten, aus anderen Teilen Südamerikas zum Königshof zu transportieren. Warum sollten Gold und Silber objektiv wertvoller sein als Federn und Muscheln?

Warum glauben wir, dass Silber einen intrinsischen Wert hat?

China verlangte im 16. Jahrhundert, dass Kaufleute, Bauern und alle anderen Bürger ihre Steuern in Silbermünzen bezahlten. Ein Viertel der Weltbevölkerung war daher bestrebt, Silber zu erwerben. Der europäische Handel mit China florierte bereits, und die chinesischen Kaufleute verlangten, in Silber bezahlt zu werden, mit dem sie dann ihre Steuerpflichten begleichen konnten. So flossen jedes Jahr große Mengen an Silber nach China. Selbst nach der Entdeckung Amerikas und dem Abbau riesiger Silbermengen im Land der Inkas floss der größte Teil des Silbers nach China. Die chinesische Regierung, erklärt der Soziologe Jakob Feinig (2022), schuf die Nachfrage nach Silber. „Viele sahen Silber als die höchste Form des Geldes an, weil sie niemanden kannten, der es ablehnen würde, um Schulden zu bezahlen“, erklärt Feinig, „aber sie wussten nichts von den chinesischen Steuergesetzen, die dieser Dynamik zugrunde lagen.“

Wert drückt menschliche Präferenzen aus

Wie Georgescu-Roegen und die neoklassischen Ökonomen sieht Alf Hornborg „Wert“ als menschliche Präferenzen (Utility), die sich im Tauschpreis eines Produkts widerspiegeln.
Aber er weiß, dass dieses Verständnis von „Wert“ den ungleichen Austausch von materiellen Ressourcen verschleiert, den die neoklassischen Ökonomen ignorieren. Da Käufer und Verkäufer nur das zahlen, was ihnen ein Produkt „wert“ ist, wirkt der Tausch zu dem von beiden Parteien akzeptierten Preis reziprok, was unser Gewissen beruhigt. Die Preise suggerieren uns, dass der globale Handel fair ist.

Ressourcen, nicht Werte, fließen asymmetrisch

Um die Asymmetrie zu sehen, müssen wir erkennen: “Was asymmetrisch von der Peripherie in die Kerngebiete transportiert wird, sind materielle Ressourcen, nicht Werte.”

„Wie könnten höhere Preise den Entzug und die Zerstörung natürlicher Ressourcen kompensieren? Geld kann die Entropie nicht kompensieren.“

Alf Hornborg

Half Hornborg

Andere davon zu überzeugen, erwies sich als schwierig. “Sich eine Zivilisation ohne solche asymmetrischen Ströme auszumalen, hieße einzuräumen, dass es notwendig ist, dass das Artefakt des Allzweckgeldes selbst überarbeitet werden muss, doch obwohl diese Feststellung unstrittig ist,” musste er erkennen, “nehmen sie weder orthodoxe noch heterodoxe Ökonomen in der Regel ernst.”

“Geld und Technologie sind soziale Arrangements, die einigen Menschen die Möglichkeit geben, mehr Energie zu verbrauchen als anderen.”

Alf Hornborg

Der Globalisierung entgegentreten

Hornborg plädiert dafür, dass wir alle wieder lernen sollten, uns mehr auf unser Land zu verlassen. Nachhaltigkeit, so glaubt er, erfordert den Großteil des Wirtschaftslebens wieder zu regionalisieren”. Hornborg hofft, dass die europäischen Länder wieder lernen können, nur von dem ihnen zustehenden Anteil der Erde zu leben. Das heißt auch: nur auf einem Europa zustehenden Anteil an Umwelt- und Arbeitslasten zurückzugreifen. Bislang hat sich die Globalisierung jedoch von Bemühungen, sie zu bremsen, nicht beeindrucken lassen.

Das Artefakt Geld

Delegation der Beziehungspflege

Der Philosoph Bruno Latour und die Primatologin Shirley Strum (1987) stellten bei ihrer Feldforschung mit Pavianen eine Besonderheit des Menschen fest: Im Vergleich zu Pavianen verwenden Menschen externe Gegenstände (Artefakte), um ihre Beziehungen zu organisieren. Das Tragen eines Dirndls zum Beispiel symbolisiert die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe; eine Krone signalisiert sozialen Rang. Das akzeptieren wir problemlos.

“In Artefakten sind soziale Beziehungen verankert, weshalb ihre Verwaltung gleichbedeutend mit der Verwaltung von Beziehungen ist.”

Alf Hornborg
Die Magie des Geldes

Gleichzeitig übersehen wir gerne, dass auch Geld und Technik auch Ausdrucksformen sozialer Beziehungen sind. Hier liegt die Magie des Geldes, erklärt Hornborg. Wenn es sich auf dem Bankkonto vermehrt, so hat Marx beobachtet, schreiben die Menschen dem Geld eine autonome Handlungsfähigkeit wie der von Lebewesen zu — anstatt anzuerkennen, dass das Wachstum des Geldes ein Ergebnis „sozialer Tauschbeziehungen“ ist. Die Magie des Geldes umhüllt den ungleichen materiellen Austausch in unserer Gesellschaft.

Geld gestaltet unsere Gesellschaft

Unterschiedliche Gesellschaften verwenden unterschiedliche Artefakten, um den materiellen Austausch und die gesellschaftliche Ordnung zu organisieren. Geld ist das Symbol unserer Wahl. Wir haben das “Organisieren des gesellschaftlichen Lebens” an unser Geld “delegiert”. Geld ist nicht nur ein neutraler Hintergrund unseres Wirtschaftslebens, weiß auch der Soziologe Jakob Feinig aus seinen Studien über Geld im jungen Amerika, sondern das wichtigste Organisationsinstrument unserer Wirtschaft, um Menschen und Ressourcen zu mobilisieren.

Kein Geld, kein Kapitalismus

Im Gegensatz zu Latour besteht Hornborg darauf, dass Artefakte keine Handlungsfähigkeit besitzen (vgl. Akteur-Netzwerk-Theorie). Ein Artefakt wie Geld – egal wie real es erscheinen mag – handelt nicht mit Absicht. Aber Artefakte haben reale Konsequenzen. Wir haben Recht, wenn wir den Zustand unseres Klimas und die globale Ungleichheit (Kapitalismus) auf die Folgen des Allzweckgeldes zurückführen. Es ist das Geld, das kapitalistische Verhältnisse erst möglich macht. „Das heutige Warensystem und der Kapitalismus insgesamt könnten nicht bestehen”, sieht auch der deutsche Ökonom Joscha Wullweber, “wenn es die Geldform nicht gäbe, die in der Lage ist, die vielen sehr unterschiedlichen Objekte vergleichbar und damit handelbar zu machen” (Wullweber 2021).
Jeder von uns kennt den Spruch: “Es ist einfacher sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus.” Aber: “Wenn wir uns auf die ausbeuterische und zerstörerische Logik der Idee des Geldes besinnen, können wir uns vielleicht”, hofft Hornborg, “das Ende des Kapitalismus endlich konkret ausmalen.”

Eigenschaft 1: Geld macht alles austauschbar

Das Allzweckgeld, das wir heute verwenden, um unseren Alltag zu organisieren, macht alles durch alles austauschbar. Das ist jedoch eine junge Entwicklung. Der österreichische Wirtschaftshistoriker aus Oxford, Karl Polanyi, dokumentierte wie im 19. Jahrhundert Waren und Dienstleistungen in Europa gegen Widerstand von allen Seiten auf einem neu entstehenden Markt austauschbar wurden und Land, Arbeit und Geld in Waren verwandelt wurden (Polanyi 1944). Dinge, wie Weizen oder Kühe, die früher die lokale Lebensgrundlage bildeten, wurden nicht mehr angebaut, um sie zu gebrauchen, sondern um sie zu verkaufen, stellt auch die Historikerin Martha Howell aus Columbia in Commerce before Capitalism in Europe, 1300-1600 fest. Um kommerzialisiert zu werden, mussten Land und seine Früchte ihren “ortsgebundenen” Status verlieren. Geld ermöglichte, Käse in Kleidung, Kleidung in Schmuck, Schmuck in Wein, Wein in Miete und alles in Münzen zu verwandeln. Solch unterschiedliche Güter konnten nur durch Abstraktion miteinander vergleichbar werden. Diese Abstraktion machte auch ihre materielle Herkunft unsichtbar. Der Wert einer Sache und auch seine Existenz wurde in Europa immer mehr nur noch darüber gerechtfertigt, dass sie verkäuflich war. Das Ziel von Produktion war nicht mehr, Dinge herzustellen, sondern Geld zu verdienen. Als die neue Klasse der Kapitalgeber neue Absatzmärkte zu suchen begann, schwappte dieser Umbruch ein wenig später auch nach Amerika. In dem Leben vieler Siedler in Amerika wurde Geld erst im Laufe des 19. Jahrhunderts bedeutsam, dokumentierte auch der Historiker Eli Cook in The Pricing of Progress. Solange es genügend Land gab, versorgten sich die Neuankömmlinge in Amerika lieber selber auf ihrem eigenen Stück Land. Doch als das Land knapper wurde und viele Menschen gezwungen waren in die Städte zu ziehen, waren plötzlich die Menschen auf den Markt angewiesen — und nicht mehr auf ihr Land und dessen Erträge. Auch Cook beobachtete, wie diese Veränderung Menschen und Natur in Investitionsgüter transformierte.

Das Leben erhielt einen Preis. Geld machte den “Lebensstandard” zwischen zwei Orten vergleichbar. Diese Quantifizierbarkeit erlaubte beispielsweise dem berühmten Aldrich-Report Lebensstandards mit Hilfe von Geld zu quantifizieren. Doch Cook hält fest: “Es war jedoch nichts Offensichtliches am “Lebensstandard” des Aldrich-Berichts. Wie alle Formen der sozialen Quantifizierung beruhte er auf einer Reihe von ideologischen Überzeugungen, Wertvorstellungen und kulturellen Präferenzen.” Fortschritt wurde seit dieser Zeit daran gemessen, wie viel Geld zur Verfügung stand. Geld wurde der Maßstab für Fortschritt — und übernimmt diese Rolle bis heute mit dem Bruttoinlandsprodukt.

Ohne diesen Schritt hin zu Abstraktion und Vergleichbarkeit von Waren wäre die industrielle Revolution jedoch nicht möglich gewesen, argumentiert Hornborg. Geld sprengte die lokalen Ressourceneinschränkungen und ermöglichte den Fabrikbesitzern, Arbeitskräfte und die verschiedensten Bestandteile ihrer Maschinen auf einem globalen Markt zu erwerben. Denn Geld ist kein Gegenstand, sondern ein Anspruch auf Ressourcen woanders. Dieses Verständnis ließ Jeff Bezos glauben, dass er sich erkaufen kann, dass die Niederlande die historische Konigshaven-Brücke abbaut, damit er mit seiner Yacht hindurch fahren kann.

Eigenschaft 2: Akkumulation von Geld nicht physikalisch limitiert

Wie viel Geld, also Anspruch auf Ressourcen von anderen, ein Mensch anhäufen kann, ist nicht physikalisch limitiert. Viele Könige haben feststellen müssen, dass sie nur eine bestimmte Menge an Reichtümern anhäufen konnten bevor ihr Besitz ohne Militär nicht mehr zu verteidigen war. Geld ist eine Form von sozialer Macht, die keine eingebauten Grenzen zu beachten hat.

Eigenschaft 3: Geld bedeutet für jeden etwas anderes
Eine abstrakte Geldmenge bedeutet gleichzeitig für unterschiedliche Menschen Unterschiedliches. Besitze ich bereits viel Geld, dann sind weitere €5000 kein Grund zur Aufregung. Habe ich allerdings ein Minus von €4000 auf meinem Konto verbucht, wäre ich vielleicht bereit, mich um die €5000 zu prügeln. Geld ist deshalb von Natur aus asymmetrisch.

Gleichzeitig ist es die Aufgabe von Geld, Reziprozität zu verkörpern. Es stellt Waren, die ganz unterschiedliche Ressourcen und Umweltverschmutzung verkörpern, gleich. “Die scheinbar objektive Darstellung sehr unterschiedlicher Güter und Dienstleistungen als äquivalent” erklärt Hornborg, “ermöglicht eine systematische Aneignung zunehmender Ressourcenmengen über den Markt, ohne den Anschein der Gegenseitigkeit zu verletzen.” Marktpreise “dienen als Ideologie der Reziprozität, die solche Asymmetrien mystifiziert”.

Eigenschaft 4: Geld kann Alchemie

Ist Energie oder Geld der wichtigste Strom, der die Gesellschaft durchströmt? Energie mag das allgemeine Äquivalent der Natur sein (Smil 2017). Doch seit dem Aufstieg der Kaufleute im Spätmittelalter hat Geld den Status als allgemeines Äquivalent ergattert (cf. Howell). Geld ist eine Art “fiktive Energie” in unserer Gesellschaft, die uns magisch mehr zur Verfügung stellt, wenn wir es brauchen (falls wir Geld haben) und sich in alles umtauschen lässt.

“Geld offenbart seinen fiktiven Charakter, wenn es die realen materiellen Bedürfnisse der Menschen nicht mehr befriedigen kann.”

Alf Hornborg

Geld ermöglicht einem Individuum eine Ressource in eine andere umzuwandeln. In der Physik ist das nicht möglich. Diese Tatsache mussten die Alchemisten lernen, als es ihnen nicht gelang unedle Metalle in Gold zu verwandeln. Mithilfe von Geld können wir heute problemlos Kupfer in Gold oder Coca Cola gegen Regenwald umtauschen. Geld macht alles mit allem vergleichbar. David Graeber und David Wengrow nannten diese Fähigkeit von Geld “unpersönliche Äquivalenz”.

“Die Verwendung von Geld in einem bestimmten Kontext spiegelt die Vorstellungen wider, die die Menschen in diesem Kontext von der Austauschbarkeit oder Verhältnismäßigkeit verschiedener Waren und Dienstleistungen haben.”

Alf Hornborg
Eigenschaft 5: Mini-Max Denken

Solange Informationen über räumliche Unterschiede oder die enthaltenen Ressourcen im allgemeinen Äquivalent Geld nicht kodiert sind, fördert Geld eine “Effizienz”, die darauf basiert, die globalen Unterschiede in Löhnen, Umweltvorschriften und Bodenpreisen maximal auszubeuten. Sie gräbt Ungleichheiten noch weiter ein und ermuntert Transporte um die halbe Welt. Der Harvard Ökonom Larry Summers demonstrierte diese Logik, als er erklärte, dass es effizienter sei, umweltverschmutzende Industrien in arme Länder zu verlegen, weil dort die wirtschaftlichen Folgen menschlicher Krankheitsfälle weniger problematisch wären. Für ihn war die Logik tadellos (“impeccable”). Das stimmt, gab der damalige brasilianische Umweltminister zu, die Logik sei “perfectly logical but totally insane.”

Solange das Allzweckgeld unsere Lebensqualität bestimmt, sehnen wir uns nach Geld. In seiner jetzigen Ausgestaltung geht es uns letztlich nicht darum, wie viele Ressourcen wir einsetzen müssen, sondern welche Menge an Ressourcen minimale Kosten und maximalen Ertrag liefert.

Neuentwurf gesucht

Alle Lösungen sprechen die Sprache des Geldes

Verschiedene Schulen in der Ökonomik lobbyieren für verschiedene Politikmaßnahmen. Sie sind sich aber einig, stellt Hornborg fest, in ihrem bedingungslosen Glauben an das Geld in seiner heutigen Form. Die Lösungen orthodoxer oder heterodoxer Wirtschaftswissenschaftler sind alle, moniert Hornborg, in Geld ausgedrückt. Geld fungiert als Maßstab für Ökosystemleistungen genauso wie für das bedingungslose Grundeinkommen. Sie scheinen sich einig darüber, dass die Klimakrise bewältigt werden kann — ohne das Geld selbst in Frage zu stellen.

“Obwohl sich ganze Bibliotheken mit Publikationen füllen lassen, in denen wirtschaftliche Theorien und Politik debattiert werden, wird praktisch der gesamte Diskurs innerhalb der vom Allzweckgeld des neunzehnten Jahrhunderts gesetzten Grenzen geführt. Das bedeutet, dass die gesamte Bandbreite des modernen ökonomischen Denkens sich auf Bedingungen beschränkt, die durch ein bestimmtes (und historisch junges) menschliches Artefakt vorgegeben sind.”

Alf Hornborg

Wie das Design von Geld hinterfragen?

Geld neu konzipieren? Für die meisten wirkt die Idee unvorstellbar. Hornborg musste feststellen, dass “nur wenige Menschen das Allzweckgeld als eine kulturelle Besonderheit betrachten, zu der es Alternativen gibt.”

Dreißig Jahre des Nachdenkens über die Hindernisse auf dem Weg zur Nachhaltigkeit haben Hornborg überzeugt: “Die politischen Ideale der Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Resilienz werden nur dann realisierbar sein, wenn das Geld neu gestaltet wird”. Also wenn “wir wirklich die Art von wirtschaftlichen und ökologischen Begrenzungen wünschen, die Visionen von Postwachstum oder einer postkapitalistischen Gesellschaft hervorrufen, müssen wir das Geld neu entwerfen.”

Er schöpft aus dieser Erkenntnis Hoffnung: “Es liegt etwas zutiefst Emanzipierendes in der Einsicht, dass Geld letztlich eine Idee ist und seine gegenwärtige Form lediglich eine Konvention, die prinzipiell umgestaltet werden könnte”.

Denn der erste Schritt ist zu erkennen, dass Geld neu konzipiert werden kann. Hornborg fordert uns auf, Geld wieder aktiv zu gestalten, wie die Menschen es in gewissen Perioden bereits getan haben (Feinig 2022).

Wer beanstandet die Spielregeln?

Wir können uns die Weltwirtschaft wie ein Brettspiel (z.B. Monopoly) vorstellen. Die Spieler befolgen die Regeln, auch wenn sie ungerecht sind. Doch anders als bei Monopoly, kann man im echten Leben bei einem Wutausbruch nicht einfach das Brett umstoßen. Den meisten Spielern wurden die Regeln nicht einmal mitgeteilt. Trotzdem ist dieser Vergleich befreiend: Die Regeln von einem Spiel können neu geschrieben werden — genauso können die Regeln der Weltwirtschaft neu geschrieben werden. Wir sind alle Spieler und halten uns an die Regeln, die das Artefakt Geld diktiert. Mit diesen Regeln als Rechtsgrundlage organisiert das Geld unsere Gesellschaft. Marktfreiheit bedeutet lediglich die Freiheit, sich an die Spielregeln zu halten. Wir richten unsere Wut gegen die Spieler, anstatt die Spielregeln des Geldsystems zu beanstanden.

Eine sehr junge Entwicklung

Hornborgs alternativer Plan baut auf Polanyis Unterscheidung zwischen allgemeinem und zweckgebundenem Geld auf. Polanyi zeigte, dass in den meisten Gesellschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das zweckgebundenem Geld dominierte. Er beobachtete, dass Städten und Gemeinden vor dem 18. Jahrhundert internationalen Handel von wertvollen Gütern wie Pfeffer oder Seide mit strengen Gesetzen streng getrennt vom lokalen Markt hielten, der zum Überleben der Bevölkerung entscheidend war. “In vormodernen Gesellschaften beschränkte sich der monetäre Austausch weitgehend auf den Fernhandel mit Kostbarkeiten, während die meisten Grundbedürfnisse durch gesellschaftlich verankerte Beziehungen der Wechselseitigkeit und Umverteilung gedeckt wurden.” erklärt Hornborg. Erst im 19. Jahrhundert wurde Geld etwas, womit man alles erwerben konnte. Anthropologen unterscheiden zwischen Allzweckgeld und zweckgebundenem Geld, das vor allem in begrenzten Tauschkorridoren seine Runden dreht. Während des ersten Weltkriegs haben die europäischen Länder zu spüren bekommen, dass internationaler Handel in Grundgütern die Resilienz stark schmälert. Man könnte argumentieren, dass wir etwas ähnliches 2022 mit Russland erleben.

Geld zerschlägt die Barriere zwischen Wert-Kategorien

Anthropologen haben den Unterschied zwischen Allzweckgeld (all-purpose money) und zweckgebundenem Geld (special-purpose money) zahlreich dokumentiert.

Das Volk der Tiv in Nordnigeria unterschied in ihrem wirtschaftlichen Handel zwischen drei verschiedenen Kategorien an Wert, die einfach nicht miteinander vergleichbar waren. Anthropologen sprechen von unvergleichbaren “Austauschräumen” (spheres of exchange).

In der ersten Kategorie handelten die Frauen Dinge, die die Lebensgrundlage der Menschen bildeten: Maniokpflanzen, Hirse, Körbe, Schaufeln. Der Austausch fand auf Märkten statt. Sie tauschten nicht, sondern benutzten “zweckgebundenes Geld”, das nur Dinge in dieser Kategorie ersteigern konnte. Ob jemand einen guten Deal erreichen konnte, kam auf das “Glück” der Geschäftsfrau oder des Geschäftsmanns an diesem Tag an. In der zweiten Kategorie handelten Männer Prestigegüter. Dies hieß vor allem Kühe und Messingstäbe und, nach Beginn der Kolonialzeit, Sklaven. In der dritten Kategorie tauschten die Männer ihre Frauen.

Im Laufe der Kolonialzeit führte die englische Regierung Steuern ein, wodurch das Gerangel um das von den Kolonialherren verlangte Allzweckgeld begann. Außerdem wurde die dritte Kategorie abgeschafft und die zweite brach zusammen. Durch den neuen, vierten Austauschraum, in dem mit Allzweckgeld gehandelt wurde, entwickelte sich eine Gruppe von Händlern, die die landwirtschaftlichen Produkte der Tiv auf Märkte in den Süden ausserhalb der Tiv-Region transportieren. Die Tiv produzierten immer mehr Nahrung, doch es blieb ihnen selbst weniger. Die Tiv taten sich immer noch schwer den Mechanismus zu verstehen, als Laura und Paul Bohannan 1956 diese Art zu wirtschaften dokumentierten. Warum?

Geld zerschmetterte die Unvergleichbarkeitsbarriere zwischen ihren Wert-Kategorien. Die Einführung von Allzweckgeld erforderte den fernen Austausch mit anderen Stämmen. So wanderte die Nahrung im grossen Stil weg und ihnen blieb nur Geld mit dem sie letztlich teurere Nahrung von fremden Märkten erwerben konnten.

Grenzen der Vergleichbarkeit setzen
Zeichen übermitteln normalerweise Informationen. Dies schaffen beispielsweise unsere Gene, indem sie bestimmte Codes verwenden. Geld hat nur eine Ziffer: Das Dollarzeichen. Heute ist mit unserem Allzweckgeld kein Kontrast zwischen Informationen möglich. Es gibt kein anderes Geld, das als Kontrast wirken kann. Vielmehr ist alles mit allem vergleichbar und tauschbar. Diese Einsicht aus der Informationstheorie in die Natur des Geldes hatte Hornborg während seiner Vorbereitung auf die Rom Konferenz 1991 zu Ehren von Georgescu-Roegen. Hierzu schrieb er den Artikel Money and Meaning: Towards a Multi-Centric Economy. Eine Komplementärwährung könnte Informationen über die Grenzen der Vergleichbarkeit vermitteln.

“Das Hauptziel muss darin bestehen, zwischen verschiedenen Arten von Zahlungsmitteln zu unterscheiden, die moralisch unvergleichbaren Zwecken dienen.” “Wir müssen die Grenzen dessen erkennen, was man mit Geld kaufen kann”, wenn wir die planetarischen Grenzen des Wachstums einhalten wollen.

Alf Hornborg

Hornborg’s Idee

Hornborg schlägt eine Neugestaltung des Geldes vor, “die auf der Idee beruht, dass jedes Land eine Komplementärwährung einführt, die nur für den lokalen Gebrauch bestimmt ist und an alle Einwohner als Grundeinkommen verteilt wird. Die Unterscheidung zwischen zwei getrennten Tauschräumen würde lokale Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit vor den schädlichen Auswirkungen von Globalisierung und Finanzspekulation abschirmen.” Hornborg ist der Ansicht, dass eine “komplementäre, zweckgebundene Währung, wie hier vorgestellt, eine Methode darstellt, den Großteil der wirtschaftlichen Interaktion zu relokalisieren.”

Barriere zwischen lokalen und nicht-lokalen Produkten

Jedes Land gibt eine Komplementärwährung als Grundeinkommen an alle Einwohner aus, welches nur für lokale Produkte aus einem bestimmten Radius ausgegeben werden kann. Auf diese Weise soll eine Unterscheidung zwischen “lokalen Produkten” und “nicht-lokalen Produkten” möglich werden. Jeder Bürger könnte eine Plastikkarte bekommen, auf die der Staat bedingungslos regelmäßig Einkommen überweist. Doch was man damit kaufen kann, hängt davon ab, wo man einkauft. Man könne z.B. festlegen, dass Güter nur aus einem 50km Radius um den Laden erworben werden können. Dies könnte mit Transportkennzeichnungen mit GPS festgehalten werden. Auf diese Weise wäre eine Unterscheidung zwischen „lokalen Produkten“ und „nicht-lokalen Produkten“ realisierbar.

Entscheidend ist, dass die Währung von der nationalen Regierung oder einer regionalen Autorität herausgegeben wird. Schon Georg Friedrich Knapp wusste, dass Geld “ein Geschöpf der Rechtsordnung” ist und der Staat die Etablierung erwirken kann. Der Staat ist der Emittent, die Bürger sind die Benutzer. Die Sicherheit, die durch den Staat als Emittent ausgestrahlt wird, sollte die Chance auf eine langfristige Etablierung des Zahlungsmittels erhöhen. Der Staat kann auch die Umwandelbarkeit in normales Geld regeln und damit Anreize setzen.

Viele der nötigen Effekte werden eine Zeit benötigen, bis sie sichtbar werden und erst langfristig Früchte tragen, meint Hornborg.

Wo sind die empirischen Fallstudien?

Ein Problem bei der Einführung eines völlig neuen Wirtschaftssystems besteht darin, dass es nicht empirisch untersucht werden kann, bevor es nicht Gestalt angenommen hat. “Niemand hat das, was ich vorschlage, bisher umgesetzt”, erklärt Hornborg. Die meisten Komplementärwährungen arbeiten heute nicht mit den Behörden zusammen. Es handelt sich vielmehr um Grassroots-Bewegungen, die von engagierten Einzelpersonen ins Leben gerufen wurden, die die Behörden herausfordern, erklärt er.

Wenn wir Komplementärwährungen oder ein allgemeines Grundeinkommen einführen, könne es nicht in Allzweckgeld sein. Sonst gibt es uns im globalen Norden lediglich die Möglichkeit noch mehr aus dem Ausland zu erwerben. Viele Komplementärwährungen, die lokalen Austausch stärken sollen, schränken den globalen asymmetrischen Fluss an Ressourcen nach Europa jedoch nicht ein. Als Beispiel führt er hierbei gerne den Bristol Pound an. Mit dem Bristol Pound können die Bürger in Bristol weiterhin Billigwaren aus China kaufen — solange sie es in regionalen Läden tun.

Den ersten Schritt gewagt

Auf diese Weise soll das Artefakt Geld eingezäunt werden. Noch hat Alf Hornborg keine Pläne, seine Idee auf die Praxis konkret vorzubereiten, und es bleibt zu sehen, ob diese Idee die beste Lösung ist, um den ökologisch ungleichen Austausch zu bremsen. Doch den ersten Schritt hat er gewagt: Er erkannte, dass Geld neu konzipiert werden kann. “Das Hauptziel muss darin bestehen, zwischen verschiedenen Arten von Zahlungsmitteln zu unterscheiden, die moralisch unvergleichlichen Zwecken dienen.” erklärt Hornborg. Er erkennt an, dass diese Idee eine Utopie für ihn ist. Sie gibt ihm Hoffnung auf die Zukunft.

Unrealistisch?

Nach einem Vortrag in Schweden wurde er schon einmal von einem lokalen Politiker auf die Idee angesprochen. Er wäre begeistert von Hornborgs Vorschlag und sagte Hornborg, er wolle diese Idee vielleicht gerne in seiner Gemeinde ausprobieren. Hornborg hörte nie wieder etwas von diesem Mann.

“Das unlösbare Dilemma für die Politiker der Welt: Einerseits erkennen sie, dass die massenhafte Verbrennung fossiler Brennstoffe nicht weitergehen kann, andererseits stellen sie fest, dass die Art der Gesellschaftsordnung und der Politik, die sie zu fördern hoffen – und die ihre Wähler erwarten -, untrennbar auf fossiler Energie zu beruhen scheint.”

Alf Hornborg

Hornborg räumt ein, dass dieser Vorschlag “zum gegenwärtigen historischen Zeitpunkt keineswegs realistisch ist, aber es gibt viele Gründe zu erwarten, dass sich die Umstände ändern werden”. Er hofft, dass der Vorschlag als Antwort auf künftige Krisen diskutiert werden wird. Er ist zuversichtlich, dass “dieser Vorschlag sich als realistischer erweisen wird als die derzeitigen Illusionen über den Emissionshandel, negative Emissionstechnologien, Geoengineering, den Umsturz kapitalistischer Eigentumsverhältnisse und andere utopische Pläne für das Überleben im Anthropozän”.

Wie geht es weiter?

Das Leben eines Professors und eines Farmers haben einiges gemeinsam, lacht er: bei beiden wird man sachte in die Rente entlassen. Man wird nicht abrupt mit einer Flasche Sekt verabschiedet und nach Hause geschickt. Jetzt, in Rente, kann Professor Emeritus Alf Hornborg nur noch machen, woran der Freude hat. Konkret heißt das, dass er noch an 5-10 Artikeln schreibt, sich auf eine Konferenz vorbereitet, und Mitherausgeber einer Fachzeitschrift ist, die in 2023 zum Thema zweckgebundenes Geld erscheinen wird.

Hornborgs Leistung: Aufforderung zum kritischen Denken

Hornborg fordert uns heraus, unsern eingefahrenen Blick auf Technik und Geld zu hinterfragen, darüber nachzudenken, was unseren Lebensstil ermöglicht. Was Hornborg bietet sind neue Denkansätze, eine neue Skepsis, die uns bei der Entscheidungsfindung unterstützen kann. Seine Analysen sollten uns auf Zusammenhänge hinweisen, um unser Denken kritischer zu machen. Schon bevor ich seine Argumente durchdrungen hatte, konnte ich viele Aussagen mit frischen Augen sehen und ganz andere Fragen stellen.

Wenn große Teile der Bevölkerung ihr Wissen darüber verlieren, was Geld ist, wie es entsteht und dass es veränderbar und umgestaltbar ist; wenn Geld als etwas dargestellt wird, das einfach da ist und bei dessen Gestaltung die Politik keine Rolle spielt; dann nennt Jakob Feinig das “monetäre Stummschaltung”. Hornborg fordert uns auf, die Gestaltung des Geldes wieder aktiv anzupacken. Geld organisiert unser Wirtschaftsleben und die Verteilung der Ressourcen und Arbeit. Wir sollten es so gestalten, dass es eine gerechtere Zukunft formen kann, wenn es seiner Arbeit nachgeht.

Ist auf Technik Verlass?

Viele, wie Steve Keen, warnen davor, dass wir Technik die Schuld für unsere Krisen geben. Für ihn, wie für viele ist Technik wichtigster Bestandteil der Lösung. Hornborg hat versucht, diese Gewissheit in den letzten 30 Jahren infrage zu stellen. Wir denken, dass Technologie nicht von Natur aus gut oder schlecht ist. Hornborg führt uns vor Augen, dass auch Maschinen von asymmetrischen Ressourcenströmen abhängen und viele nur mit ökologisch ungleichem Austausch arbeiten können — und dass diese Eigenschaft von vornherein in ihr Design eingebaut ist. Hornborg versuchte, Ökonomen und Politikern mit seinen Veröffentlichungen zu zeigen, dass die Klimakrise nur zu lösen ist, wenn wir Geld neu designen. Allein auf Technik zu hoffen, ist zum Scheitern verurteilt. Das erkannte auch Pia Marchegiani von FARN aus Argentinien. Sie sagt am Rohstoffgipfel Berlin 22, dass Technologie alleine ihnen, im globalen Süden, nicht helfen werde. Auch sie ist auf der Suche nach einem Mechanismus, mit dem man Regionalisierung bewirken kann.

Eine glückliche Kombination

Wie kann es sein, dass diese Verbindung so vielen anderen Aktivisten entgeht? Hornborg verdankt seine unverwechselbare Sichtweise einer ungewöhnlichen Kombination von Erfahrungen: Er kombinierte die Werkzeuge der Anthropologie und der Weltsystemanalyse mit den Erkenntnissen von Georgescu-Roegen. Als Anthropologe sah Hornborg die Symbole, die die Menschen für selbstverständlich halten, aber mit Hilfe von Georgescu-Roegen und der Weltsystemanalyse ging er über die Anthropologie hinaus und konnte den materiellen Stoffwechsel unserer Gesellschaft erkennen.

Plan B

Nach der Finanzkrise 2008 schien der Durchbruch nah. Doch der Moment zog vorbei. Dann kam die Pandemie und schien zu zeigen, dass Veränderungen auch in kurzer Zeit möglich sind. Doch wieder vergaß man die Krise, sobald sie vorüber schien.

Aber wenn sich die wirtschaftliche Lage plötzlich ändert, ist es gut, vorbereitet zu sein und einen Vorschlag zu haben. „Ich denke, was ich vorschlage, ist ein Plan B“, sagt Hornborg.

Die Hoffnung auf die Schultern seiner Studenten legen

Im Laufe der Jahre hat er eine große Anzahl von Studenten unterrichtet. Er hat auch viele Doktoranden betreut. Er erinnert sich an einen kenianischen Studenten, der seine Doktorarbeit über ökologisch ungleichen Austausch unter Hornborgs Anleitung schrieb. Zurück in Kenia, arbeitet der Student nun als Beamter. Hornborg hofft, dass er sich an seine Doktorarbeit erinnern wird, wenn er mit Kollegen diskutiert.

Was können wir tun?

Er ist sich bewusst, dass es wahrscheinlich wirksamere Wege gibt, um Kritik zu äußern und eine breite öffentliche Meinung zu erreichen. Er hat seine Ideen im Allgemeinen nur innerhalb der Grenzen der Universitäten dargelegt. Obwohl er Bücher für die schwedische Öffentlichkeit geschrieben hat, haben ihm einige Leser geschrieben und sich darüber beschwert, dass er in „akademischer Sprache“ schreibe. Er weiß, dass sein Schüler Andreas Malm, der Hornborg seinen „Scheich“ nennt (Malm 2016), mit seinen Büchern Fossil Capital und How to Blow Up A Pipeline bereits mehr Leser erreicht hat als er in 30 Jahren.

Wie Malm ringt auch Hornborg mit der Frage, wie man Politiker dazu bewegen kann, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Hornborg hat sich öffentlich von Malms Aufruf zur Sabotage distanziert. Er ist nach wie vor der Meinung, dass solche Aktionen nur Ressentiments gegen die Klimabewegung schüren und die Gefahr besteht, dass sie den schwächsten Menschen schaden. Gleichzeitig sieht Hornborg aber auch, dass rationale Argumente nur eine begrenzte Wirkung haben. Er und rund 2.000 andere schwedische Wissenschaftler haben kürzlich einen offenen Brief an die politischen Entscheidungsträger unterzeichnet, in dem sie fragen: „Was müssen Sie noch wissen, bevor Sie handeln werden?“

Trotz der Frustration, die er manchmal empfindet, wenn diese Gedanken auftauchen, glaubt Hornborg, dass er durch seine Forschung einen bedeutenderen Beitrag zur Klimagerechtigkeit geleistet hat, als er es getan hätte, wenn er einfach auf seinem Hof geblieben wäre.

Für die meisten Menschen ist der Klimawandel noch kein Thema

Die schwedischen Parlamentswahlen im Jahr 2022 haben gezeigt, dass der Klimawandel noch kein Thema ist, das die schwedische Öffentlichkeit ausreichend beunruhigt. Das Land von Greta Thunberg fand den Klimawandel noch nicht diskussionswürdig und wählte eine rechte Koalition in die Regierung. „Nur etwa 5 % interessieren sich wirklich für den Klimawandel“, sagt Hornborg. Gleichzeitig gehören diejenigen von uns, die sich am meisten um die Rettung des Planeten sorgen, wohl auch zu seinen größten Bürden“. Hornborg ist sich seines eigenen Beitrags bewusst. Würden unsere schwedischen Konsummuster globalisiert, so Hornborg, benötigten wir vier zusätzliche Planeten.

Alf Hornborg ist seit 1993 Professor für „Human Ecology“ an der Lund Universität in Schweden. Er ist der Autor von einer Vielzahl an Artikeln und mehreren Büchern, zuletzt Global Magic: Technologies of Appropriation from Ancient Rome to Wall Street (Palgrave Macmillan, 2016) und Nature, Society, and Justice in the Anthropocene: Unraveling the Money-Energy-Technology Complex (Cambridge University Press, 2019).

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