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Wer erfand das Geld?

Historische Funde zeigen, dass nicht der Markt, sondern der Staat unser Geld erfunden hat. Eine Reise von Ägypten bis nach England verrät, wie der Staat auf das Geld gestoßen ist.

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"Das Büro des Steuereintreibers" von Pieter Brueghel, ca. 1620-1640.

Der Sage in den ökonomischen Lehrbüchern zufolge ist Geld aus dem Tauschhandel zwischen den Menschen entstanden. Die Menschen machten die liquideste Ware spontan zu einem Tauschmittel, um die Ineffizienzen des Tauschhandels zu beseitigen — meist Edelmetall oder wenn keines verfügbar war, beispielsweise Zigaretten. Als der Handel florierte, kam der Staat in das Gemenge und standardisierte die Silbermengen. Das Problem: Dafür, dass Geld auf diesem Wege erfunden wurde, gibt es keinerlei Indizien (außer bei Kriegsgefangenen) (siehe Teil 1).

Viel wahrscheinlicher ist es, laut der Rechtshistorikern Christine Desan aus Harvard, dass Geld entstanden ist, als sich große Gruppen von Menschen organisierten. 

Wenn Geld nicht spontan während des Tauschhandels erfunden wurde, welche geistreiche Gruppe hat das Geld dann auf seinen Siegeszug durch die Welt geschickt?

Die Erfindung der Münze

Vielleicht vermuten Sie, dass diese Frage mithilfe von Archäologen nicht schwer zu beantworten sein kann. Man müsse nur die ältesten Münzen finden, die man heute bekanntlich genau datieren kann. Damit wären Sie nicht alleine. Seit der Erfindung der Münzen bedeutete „Geld“ für einen Großteil der Menschen „Münze“ — im wörtlichen Sinne: In Französisch ist „argent“ noch heute Geld und Silber. Aus diesem Grund erhoffte sich vielleicht auch der Ökonom François R. Velde von der Federal Reserve Bank of Chicago Aufklärung von den Erfindern der Münze: „Wenn wir wüssten, wann und wie das Münzgeld erfunden wurde, würden wir vielleicht besser verstehen, warum es Geld gibt.“ Kann uns der Erfinder der Münze weiterhelfen? 

Unbekannter Erfinder

Das Verdienstkreuz für die Erfindung der Münze wird in den meisten Texten an den lydischen König Krösus (560 bis 546 v. Chr.) vergeben, der uns dank des griechischen Historikers Herodot für seinen verprassten Reichtum und als Begründer der Prostitution in Erinnerung geblieben ist. 

Doch so wie viele andere Erfindungen wurden auch die Münzen nicht durch einen einsamen Geistesblitz eines nach Reichtum hungrigen Königs nahe Troja erdacht. Der Innovationsweg bis zu seinen Münzen war „lang und beinhaltete viele Zwischenetappen“, weiß der Ökonom Glyn Davies, Autor des 800-seitigen Klassikers History of Money.

Wie bei vielen technischen Innovationen begannen die Chinesen früher. Schon am Ende der Steinzeit schufen sie eine Art „Quasi-Münzgeld“ aus dem bis heute historisch am meisten verbreitete und verwendete Zahlungsmittel, die „Cowrie“, aus Bronze und Kupfer. Auch die Münzen, die sie vor ca. 3000 Jahren entwickelten, waren aus „unedlen Metallen“, was sie damals nur als Kleingeld („cash“) tauglich machte. Sie hatten ein eckiges (später auch rundes) Loch in der Mitte — praktisch, um sie auf eine Schnur zu reihen — und wurden bis 1912 geprägt wurden (siehe Cribb 1979: 184).

Ein Mann aus Sichuan, der 13.500 Bargeldmünzen bei sich trägt (1917)

„Die Frage, wann Münzen ‚erfunden‘ wurden, hängt weitgehend von unserer Definition einer Münze ab.“

Davies (2005)

Wir glauben heute dank der Arbeit von Generationen an Archäologen zu wissen, dass Münzen, wie wir sie heute wiedererkennen würden, etwa zeitgleich und vermutlich unabhängig an drei verschiedenen Orten erschienen — in China, Indien und auf dem Gebiet der heutigen Türkei, also in dem kleinen Königreich Lydien und seinen Nachbarn. 

Tiefe Monetarisierung

Die Münzen, die zu Beginn des 7. Jahrhunderts v. Chr. in Lydien in den Umlauf gegeben wurden, waren aus einem Gold-Silber-Mischung (Elektrum) und schwer von anderen Metallhäufchen zu unterscheiden. Doch wenige Jahre später war die Prägung schon deutlich erkennbar: Ein Löwenkopf, das Symbol des lydischen Königshauses. Die Prägung machte die Haufen flacher. Doch die Elektrum-Münzen waren noch zu schwer und ihr Nennwert zu hoch, um für den Handel zu taugen — sie hatten eine Kaufkraft von 10 Schafen (siehe Cook 1958: 257–262).

Lydische Münzen aus Elektrum

Seit Krösus wurden Münzen nicht mehr aus Elektrum, sondern aus entweder Silber oder Gold gemacht. Die Silbermünze mit dem kleinsten Nennwert wog jetzt nur noch 0,44g. Man nimmt an, dass diese Münzen (mit kleinem Nennwert) schon größere Runden gedreht haben. sie sind deutlich abgenutzter (Velde 2014). Für den Arbeitshistoriker Jan Lucassen begann mit diesem Wandel die Ära der „Deep Monetization“. Der Nennwert der Münzen wurden so klein, dass Tagelöhner damit bezahlt werden konnten. Im antiken Rom unter Augustus wurden die Edelmetalle (aureus aus Gold, denarius aus Silber) genutzt, um Steuern und große Schulden zu begleichen und unedle Metalle, wie die quadrans wanderten als Tauschmittel von Hand zu Hand (Goldsmith 1987: 36). 

Münzprägung unprofitabel?

Aber warum hat Krösus Gold und Silber von Sklaven schöpfen und stanzen lassen? Die generelle Theorie, dass die Münzprägung rentabel war, stellen neuere archäologische Forschungen infrage. So schreibt Melitz in der European Review of Economic History: „Entgegen der landläufigen Annahme war die frühe Münzprägung nicht sehr profitabel. Die lydische Regierung und die griechischen Stadtstaaten stellten eine extrem breite Palette von Münzwerten aus einem einzigen Edelmetall zu erheblichen Kosten bereit. Ihre Bereitschaft, diese Kosten zu tragen, muss Ausdruck einer politischen Strategie zur Förderung der Münzprägung gewesen sein.“ 

Münzen als Ausdruck politischer Herrschaft

Doch was für eine politische Strategie hat sich hinter den Münzen verborgen? Für die Griechen stand wohl das Stadtwappen auf den Münzen im Vordergrund (Austin und Vidal-Naquet 1977: 57), keine wirtschaftlichen Gedanken (Davies 2005: 60). Die ersten Münzen wurden von der politischen Herrschaft (sei es Krösus oder die Bürger von Athen) herausgegeben, um ihre „Souveränität auszudrücken“, weiß Bill Maurer, Anthropologe und Herausgeber der 6-bändigen A Cultural History of Money. Durch ihre Reisen waren Münzen das erste Massenmedium, das vielen Menschen das einzige Bild zeigte, das sie von Ihren Herrschern kannten. 

Nachfrage durch Proklamation

Doch was zog die Münzen auf Wanderschaft? Auf diese Frage fand Velde bei den Münzen keine Antwort.

„Die Schwierigkeit besteht darin, die Nachfrage nach einer derartigen Münzprägung zu erklären. Die Behauptung, dass Münzen hergestellt wurden, um Söldner oder Beamte zu bezahlen, wirft die Frage auf: Wen haben die Söldner überzeugt, die Münzen anzunehmen?“

François R. Velde (2014) A Quantitative Approach to the Beginnings of Coinage 

Georg Friedrich Knapp, der von 1874 bis 1918 Ökonomie an der Universität Straßburg lehrte, fand den Grund für die Nachfrage, also die „Geltung“ der Münzen, in deren „Proklamation“. Was die Münzen wiegen oder welches Wappen auf den Münzen geritzt ist, bleibt unwesentlich. Sie sind lediglich Erkennungszeichen. Die Bedeutung der Münzen wird nur durch einen Blick in die Rechtsordnung erkennbar. Die Münzen funktionieren wie eine Marke, die man an der Garderobe vor einem Konzert bekommt. Wie die Marken beweisen sie unseren Anspruch auf etwas, dass die Marke festlegt. Im Lateinischen bedeutet „Charta“ Marke — Geld ist deshalb für Knapp ein „chartales Zahlungsmittel“ und Chartalität „nichts anderes als die proklamatorische Verwendung geformter Zahlungsmittel“. 

Zirkulatorische nicht reale Befriedigung der Münze

Was alle Zahlungsmittel gemeinsam haben: „Der Inhaber verwendet sie zirkulatorisch, sobald er in die Lage kommt, Werteinheiten zu leisten; die Befriedigung des Inhabers beruht also nicht im Besitze an sich, sondern im Besitze mit der Aussicht auf künftige Verwendung zum Zahlen“ erklärt Knapp (1905: 37). Doch warum sollten andere nach Münzen fragen?

Münzen als „Steuer“-Marke

Es ist einer zentralen Autorität, wie Krösus, zu verdanken, dass sich der Inhaber einer Münze Hoffnung auf zukünftige Verwendung zum Zahlen mit dieser Münze macht. 

„Krösus zeigt Solon seine Schätze.“ Ein Gemälde von Frans Francken the Younger (1581–1642)

Krösus ist nicht umsonst reich geworden. Er hat Abgaben (Steuern) von seinen Untertanen erwartet. Diese konnten sie entweder durch Kriegsdienst, Ernteabgaben oder eben in Münzen machen. Sobald Münzen die Steuern begleichen konnten, wollten all diejenigen Münzen einsammeln, die ihren Beitrag schwer auf andere Weise leisten können. Die Münze hatte ab dieser Proklamation eine Bedeutung für alle im Herrschaftsgebiet, die noch eine offene Rechnung mit dem Staat hatten. Nachfrage für die Münzen schafften also nicht die Marktteilnehmer, sondern die Macht des Gesetzes.

Bei großen Heeren war der Militärdienst ein Problem, er nahm gesunde Arbeiter von den Feldern. Und Krösus hatte eine große Armee und liebte den Krieg. Auf diese Weise könnte Krösus versucht haben, die Versorgung der Soldaten sicherzustellen. Er vergibt Münzen beispielsweise an Soldaten als Anerkennung ihres Beitrags. Sie geben die Münzen wiederum weiter an Menschen, die ihre Schuld mit dem Staat nicht durch Kriegsdienst begleichen konnten.

Ob Krösus diese Gedanken hatte, bleibt ungewiss. Doch ähnliche Gedanken sind gut dokumentiert für China (Lucassen, Davies 2005). Und der Historiker Ethan Segal stieß in seiner Forschung über Münzen im mittelalterlichen Japan auf eine vergleichbare Wirkkraft: Als Steuerzahlungen neben Rohstoffen auch Münzen zuließen, breitete sich lokaler Handel aus. So vermutet der Ökonom L. Randall Wray, dass wahrscheinlich „von Anfang an erkannt wurde, dass der Zweck der Münze darin bestand, der Bevölkerung ein bequemes Mittel zur Zahlung von Steuern zu geben. Die Verwendung dieser frühen Münzen als Tauschmittel war somit vermutlich eher eine ‚zufällige Folge der Münzprägung‘ (Crawford 1970: 46) und nicht der Grund dafür (siehe Cook 1958).“ (Wray 2000).

„Es stimmt, dass eine einfache Proklamation, dass dies oder jenes Geld ist, nicht ausreicht, selbst wenn sie durch die überzeugendsten verfassungsrechtlichen Beweise über die absolute Souveränität des Staates ergänzt wird. Aber wenn der Staat bereit ist, das vorgeschlagene Geld zur Zahlung von Steuern und anderen Verpflichtungen zu akzeptieren, ist das Kunststück vollbracht.“

Abba Lerner (1947: 313)

Der politische Prozess macht die Münze wertvoll

Es ist „weniger das Objekt, das die Geldfunktion innehat, von Bedeutung…, als vielmehr der politische Prozess, in dem bestimmt wird, welches Objekt diese Funktion übernehmen soll und welche Institution es auf welche Weise vermehren darf.“ (Wullweber 2021: 84)

„Die Seele des Geldwesens liegt nicht im Stoffe der Platten, sondern in der Rechtsordnung, welche den Gebrauch regelt.“

G.F. Knapp „Staatliche Theorie des Geldes“ S.2

Zwei Werte einer Münze

Solange wir das Edelmetall als Tauschgut verwenden, brauchen wir eine Waage. Doch die Münzprägung bescheinigt, wie viel eine Münze wert ist. Das Silber von Krösus hatte bereits zwei unterschiedliche Werte: Zum einen den Wert des Rohstoffs, Silber; zum anderen den Nennwert, der vom Souverän Krösus festgelegt und eingraviert wurde.

Wie wir an unseren 50 Cent und 1-Euro-Münzen sehen können, hat der Metallgehalt der Münze keine Bedeutung für dessen Nennwert. Wenn wir Silber als Münze erhalten, müssen wir uns entscheiden: Wir können uns entweder über den Rohstoff freuen, um daraus etwas zu basteln, oder wir nehmen es an, weil wir es gegen etwas anderes eintauschen können (zirkularische Befriedigung nennt das Knapp).

„Der natürliche Mensch ist Metallist; der theoretische Mensch hingegen ist genötigt, Nominalist zu werden, denn es ist nicht allgemein möglich, die Werteinheit als Metallmenge zu definieren.“

– G. F. Knapp „Staatliche Theorie des Geldes“ S.8

Geld funktionierte ohne Münzen

Wir halten fest: „Die Märkte kamen sowohl vor als auch nach der Erfindung von Münzen bestens ohne sie aus. Seit jeher funktionierten die Märkte auf der Grundlage von Krediten und Schulden…“ (Wray 2000).

Wenn man die Gründe für die Erfindung des Geldes nicht mehr bei dem Erfinder der Münze sucht, werden ganz andere Ideen vorstellbar. 

„Der Münzkenner versteht in der Regel vom Geldwesen nichts, denn er hat es nur dessen entseelten Überresten zu tun“

G.F. Knapp „Staatliche Theorie des Geldes“ S.1

Münzen entstanden also nicht, um den Wert des unterliegenden Metalls zu verkörpern oder den Tauschhandel spontan effizienter zu machen. Nein, Münzen scheinen als Zahlmarken der politischen Autorität im Lande entstanden zu sein — als Kreditinstrument.

Münzen waren Geld, weil sie vom Staat zur Schuldentilgung angenommen wurden. So definiert der Staat Geld als das, was zum Zahlen von Steuern taugt. Dies stellten schon die renommierten Ökonomen Adam Smith, Georg Friedrich Knapp, John Maynard Keynes und auch Minsky, Lerner und Wray fest (auch wenn Keynes den Konflikt mit seinen Kollegen nicht lange durchhielt und mit zunehmenden Ruhm und jedem weiteren Entwurf seines Klassikers immer mehr versuchte, seine Kollegen mit der etablierten Meinung zufriedenzustellen, Ingham 2004: 50).

„Die Zahlung der Steuer (Der Steuereintreiber)“, ein Ölgemälde von Pieter Brueghel der Jüngere, ca. 1620-1640.

John Maynard Keynes drückte diese Unterscheidung zwischen dem Zahlungsmittel und der Geldgestalt in einem berühmten Satz aus: „Das Zahlungsmittel ist die Beschreibung oder der Titel und das Geld ist das Ding, das der Beschreibung entspricht.“ (Keynes 1930: 3–4). Wir verwenden chartale Zahlungsmittel seit dem Zeitpunkt, als der Staat nicht nur das Recht beanspruchte, „das Wörterbuch durchzusetzen, sondern auch das Recht, das Wörterbuch zu schreiben“ (Keynes 1930: 5). 

„Der Staat verwendet Steuern als Mittel, um die Bevölkerung dazu zu animieren, dem Staat Waren und Dienstleistungen zu liefern und stellt im Gegenzug das Geld bereit, das zur Tilgung der Steuerschuld verwendet wird.“

Wray (2000)

Doch Krösus war nicht der erste, der Steuern forderte. Das Recht, den Bewohnern eines bestimmten Gebiets Steuern aufzubürden und einzutreiben, „wird seit mindestens viertausend Jahren geltend gemacht“ stellte J. M. Keynes fest nach einem langen Studium eines anderen Ortes: Babylonien. Die Geschichte des Geldes beginnt also nicht mit Krösus, sie beginnt schon viel früher. Um sie zu entdecken braucht es ein wenig „intellektuelle Archäologie“ (Ingham 2004: 10) und eine Reise ins alte Ägypten und Mesopotamien. 

Die ersten Banken

Bevor Krösus seine Münzen verbreitete, hatten die Menschen in Mesopotamien schon ein Geldsystem — nur ohne Münzen. Vielleicht war es ein Streich des Schicksals gewesen, dass er Lydien an Persien verlor, welches damals über die Region herrschte. 

Die ersten Banker lebten schon vor mehr als 3000 Jahren v. Chr. in Mesopotamien und Ägypten — und waren Beamte in den Tempeln und Königspalästen. Banker waren seit ihrer Berufung „die Finanzdienstleister des Staates“ (Innes 1913: 399). 

Karte von Mesopotamien

Schlüsselbegriff: Schulden

Historiker gehen davon aus, dass sich eine öffentliche Verwaltung in Mesopotamien entwickelte, als die Bevölkerung zu umfangreich, die Städte zu groß wurden, sodass es für viele Menschen unmöglich wurde, den Überblick über alle Beziehungen untereinander zu behalten. Tempel und Paläste entstanden. Die Tempel waren der Mittelpunkt des ökonomischen und des religiösen Lebens der mesopotamischen Bevölkerung. Sie sollten helfen, den Überblick darüber zu behalten, wer was wem wann schuldete und zentralisierten die Verteilung der Ernte. Der Handel war für die damaligen Menschen von geringfügiger Bedeutung. Die meisten Zahlungen und Abgaben waren Steuern oder Mieten an die Tempel und Paläste (Goldsmith 1987, Ingham 2000). Die Menschen zahlten am Anfang vor allem ihr Getreide bei den Tempeln ein, später auch viele andere landwirtschaftliche Produkte, wie Kühe. 

Abgaben an Tempel wurden standardisiert

Um den Überblick über die Schuldbeziehungen und Abgaben zu behalten, reichte es nicht, die Schulden zu dokumentieren (der Ursprung unserer Schriftsprache liegt, wie viele vermuten, in der Babylonischen Buchhaltung. Die ersten Texte waren Listen „von Vieh und landwirtschaftlichen Ausrüstungen“ aus Uruk um die 3100 v. Chr. schätzt Oates (1979: 197). Es brauchte eine Autorität, die standardisierte, wie Schulden auf dem Herrschaftsgebiet dokumentiert und beglichen werden. 

Frühe Tontafel, auf der die Zuteilung von Bier dokumentiert ist, wahrscheinlich aus dem Südirak, Spätprähistorische Zeit, 3100-3000 v. Chr. im British Museum. © BabelStone

Diese Standards wurden laut Randall Wray wahrscheinlich während der Entwicklung der herrschenden Tempel und Palastbesitzer geschaffen. Mit der Zeit wurden die Abgaben standardisiert und zu den ersten Zahlungsmitteln (mina, shekel, lira, pound), die später auch von privaten Steuereintreibern eingesammelt werden konnten.

„Alles deutet darauf hin, dass der gemeinsame Ursprung von Geld, Schulden und Schrift in den Steuerabgaben der Paläste liegt.“

Wray (2000)

Tontafeln als Quittung

Totafel mit Tonhülle aus Mesopotamien im Michael C. Carlos Museum. © Gary Todd

Damit die Menschen später nachweisen konnten, dass sie bereits eingezahlt hatten, erhielten sie eine Quittung in der Form einer Tontafel (shubati, was so viel wie „eingegangen“ bedeutet). Viele dieser Tontafeln wurden in den Tempeln aufbewahrt. Andere wurden mit einer äußeren Tonhülle versiegelt und umhergereicht. „Eine Schuld konnte gelöscht und Steuern gezahlt werden, indem man eine Tafel vorlegte, auf der die Schuld eines anderen vermerkt war, woraufhin die Hülle, unter der die gelöschte Schuld vermerkt war, aufgebrochen werden konnte, um die Schuldverhältnisse zu überprüfen.“ erklärt Wray. 

Girobanken in Ägypten

„Es ist allgemein bekannt, dass die Geschichte des Geldes fast 3000 Jahre älter ist als die der Münzprägung.“

Pavlina R. Tcherneva

Aus Ägypten stammt das älteste uns bekannte Steuersystem. Seit der ersten Dynastie des Alten Reichs vor rund 3000-2800 v. Chr. erhoben die Herrscher in Ägypten Steuern. Sie verlangten entweder Abgaben von meist 10 % der Ernte (Tithe) oder Zwangsarbeit (Corvée) von denen, die zu arm waren, um etwas abzugeben.

© H. G. Wells

Auch in Ägypten wurde die Getreideernte oft zentral durch staatliche Lagerstätten organisiert — wie in vielen Teilen der Welt. Da die Herrscher schon früh begannen, mit Münzen und Metallen zu haushalten, wurden die schriftlichen Belege der Einlagerung in Lagerstätten dafür verwendet, um am Abrechnungstag nachzuweisen, dass die Schulden bereits beglichen sind.

Diese Belege konnten also genutzt werden, um Steuern zu entrichten und waren deshalb begehrt. Sie konnten auch verwendet werden, um andere Schulden zu begleichen. Es waren im Reich allgemein akzeptierte Kredite und übertragbare Schulden — somit waren die Belege Geld, ein allgemeines Zahlungsmittel. Dies musste nicht über die physischen Belege der Lagerstätten (die wie Banken funktionierten) geschehen: Vermögen, oder Getreide, wurde von einem Konto auf ein anderes übertragen — ohne dass es durch die Hände der Parteien fließen muss, betont der Ägyptologe Rostovtzeff (1941: 1285). 

Dieses Girobankensystem bot Sicherheit: „Das System, seine Schulden über die Bank zu begleichen, hatte den zusätzlichen Vorteil, dass die Transaktionen offiziell aufgezeichnet wurden und somit im Falle eines Rechtsstreits wichtige Beweise vorgelegt werden konnten“. „Dieses System der Lagerhausbanken erreichte seinen Höhepunkt an Perfektion und geografischer Ausdehnung im ägyptischen Reich der Ptolemäer (323-30 v. Chr.)“ und besaß sogar eine Art Zentralbank in Alexandria „wo die Hauptkonten aller staatlichen Getreidebanken erfasst wurden“ (Davies 2005: 52, 54).

Für Heichelheim steht fest: „Nahezu alle diese Formen von Bankgeschäften gab es bereits im dritten Jahrtausend v. Chr.“ (1958, II, 134). 

Wer erfand das Papiergeld?

Frühes Papiergeld in China während der Song-Dynastie

Dass Papier auch Geld sein kann, entdeckte der chinesische Kaiser Zhenzong. Marco Polo berichtete den Europäern damals, dass die Chinesen das Geheimnis der Alchemie geknackt hätten. Seit dieser Zeit haben auch wir Münzen größtenteils mit Papiergeld ersetzt. Am Anfang des 19. Jahrhunderts machte die Metallwährung bereits weniger als 50 % der Geldmenge in England aus (Desan 2014) (heute sind es nur noch unter 10 %). Wirklich wohl war vielen dabei nicht, vor allem, wenn die Scheine nicht an Edelmetalle gekoppelt waren. Wie schafften es die Scheine trotzdem, die viel stabiler wirkenden Münzen zu verdrängen?

Oft wird erzählt, dass den privaten Banken der Goldschmiede in London für unser Papiergeld zu danken ist. Doch auch hier stimmt der Mythos nicht mit der Geschichte überein, musste die Rechtshistorikern Desan feststellen (Desan 2014: 11).

Die Staatliche Akzeptanz entscheidet, was Zahlungsmittel wird

Banknoten zeigen uns, dass Geld nicht vom Staat emittiert (herausgegeben) werden muss, um Teil des nationalen Geldsystems zu werden. Banken wurde nach einem politischen Kampf erlaubt, Geld zu schöpfen, das vom Staat angenommen wird. Seit der Gründung der Bank of England 1694 lizenziert der Staat Geschäftsbanken, dass sie Geld in der herrschenden Rechnungseinheit durch das Vergeben von Krediten schöpfen dürfen.

„Besiegelung der Charta der Bank of England (1694)“ von Lady Jane Lindsay, 1905.

Privates Kredit-Geld der Banken hatte Wert, weil es benutzt werden konnte, um Schulden mit den Banken zu begleichen (Minsky). Die Bankkredite wurden zu Geld, als der Staat beschloss, sie zum Begleichen von Steuern anzunehmen und sie damit auf die Stufe eines allgemein willkommenen Zahlungsmittel zu erheben. Wieder ist es die Annahme durch den Staat, die die Banknoten zu einer Geldform verwandelten. 

„Gutschriften und Wechsel, die von den Banken ausgestellt werden und auf das Zahlungsmittel des Staates lauten, werden daher zu „Geld“…, wenn sie zur Begleichung von Steuerschulden gegenüber dem Staat akzeptiert und zur Bezahlung der Gläubiger des Staates wieder ausgehändigt werden.“

Ingham (2004: 48)

Ähnlich funktionierte die Verbreitung von zerbrochenen Stöcken („tally sticks“) im Mittelalter in England, die der Staat seinen Gläubigern als Anerkennung seiner Verschuldung gab und später auch zur Begleichung von Steuern wieder zurücknahm (Innes 1913). Münzen waren damals zwar „zweifellos wohlbekannt, aber wenig genutzt.“ 

Mittelalterliche „Tally Sticks“ aus England. © Winchester City Council Museums

Knapp und Keynes verstanden, warum vermeintlich wertlose Objekte, wie die Baumwolle, aus der unsere Euroscheine gemacht werden, zu Geld werden können: „Von Mesopotamien und Ägypten bis zu den modernen Volkswirtschaften haben Herrscher, Statthalter und Nationalstaaten immer ‚das Wörterbuch geschrieben‘.“ Die Autorität wählt „das Zahlungsmittel aus und erklärt, welches ‚Ding‘ als Geld gilt.“ (Tcherneva 2006: 72)

„Jeder, der Verpflichtungen gegenüber dem Staat hat, wird bereit sein, Papierstückchen zu akzeptieren, mit denen er die Verpflichtungen begleichen kann – ebenso wie alle anderen Menschen bereit sein werden, diese Papierstückchen zu akzeptieren, weil sie wissen, dass alle Steuerpflichtigen sie wiederum akzeptieren werden.“

Lerner (1947: 313)

Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass es nicht wichtig ist, aus welchem „Ding“ (Keynes) das Zahlungsmittel beschaffen ist, solange einige Grundfunktionen einbaubar sind, wie begrenzte Vermehrung oder Fälschungssicherheiten (Desan 2014). 

Geld als Werkzeug des Kolonialismus

Kolonialisten nutzten diese Erkenntnis, um Afrika nach ihren Vorstellungen zu monetarisieren. Die Aufforderung an Afrikanische Bewohner, Steuern an die Kolonialmacht zu zahlen, war ein „typische[s] Mittel der Kolonisierung“, sagt der Anthropologe Bill Maurer. Wie die oberen Beispiele zeigen, kannten Afrikaner Steuern schon seit Jahrtausenden. Doch die Kolonialisten verlangten Steuern in einer anderen Währung. Um dieses Zahlungsmittel zu erwerben, begannen sie, für den Verkauf anzubauen oder auf den Farmen oder Minen der Europäer zu arbeiten (siehe z. B. Rodney 1972, Forstater 2005). Forstater (2005) hält fest: „In den europäischen Kolonien kamen Landenteignung und Zwangsarbeit zum Einsatz, aber ein weiteres wichtiges Mittel, um die einheimische Bevölkerung zur Arbeit als Lohnarbeiter oder zur Produktion von Feldfrüchten zu zwingen, war die Besteuerung und die Forderung, die Steuern in der Kolonialwährung zu zahlen.“ 

Moralisierende Steuern gegen Faulheit

Ein Beispiel verdeutlicht die Kraft der Steuern: Nach seiner Eroberung von Madagaskar legte der französische General Joseph Gallieni den Einheimischen die „impôt moralisateur“ auf, also eine „moralisierende Steuer“, die nur in der neuen Währung, den madagassischen Francs, zu verrichten war. Sie sollte den „Einheimischen den Geschmack an der Arbeit vermitteln“, die keine anderen Ambitionen zu besitzen schienen, als mit minimalem Aufwand für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Diese Haltung wurde als ein Affront („unerträgliche Provokation“) für das westliche Arbeitsverständnis gesehen. Ihre „Faulheit“ wollte der General ihnen aberziehen. Doch David Graeber, der viele anthropologische Studien in Madagaskar gemacht hat, sieht dahinter mehr als einen „zynischer Vorwand, um billige Arbeitskraft aus der Landbevölkerung herauszupressen“: Die internen Dokumente der französischen Administration zeigen, dass sie sehr darauf bedacht waren, dass die Bauern noch genügend Geld der neuen Währung übrig hatten, um den Konsum von kleinen Luxusgütern zu schmecken, wie chinesische Kekse. Auf diese Weise errichteten sie Märkte für Konsumgüter in Madagaskar. Durch diese neuen Märkte ist Madagaskar bis heute an Frankreich verschuldet, obwohl viele Madagassen sogar sehr bewusst die Konsumgüter ignorierten. 

Geld durch Zwang nicht nur Vertrauen

Dass Geld von Kolonialisten als Werkzeug verwendet wurde, um die Kulturen nach ihren Vorstellungen zu formen, zeigt die andere Seite der Entstehungsgeschichte von Geld. Es ist nicht nur Vertrauen, was Geld als Zahlungsmittel attraktiv macht. Es ist auch die Erzwingung der Steuern durch die herrschende politische Autorität, die Geld für alle in einem Geltungsraum wertvoll macht (Ingham 2004: 55; Wray 1998).

Konsequenzen

Geld wurde nicht erfunden

Der Anthropologe David Graeber, Autor des viel diskutierten Werks Debt: The Last 5000 Years, hält fest: „Geld wurde ebenso wenig ‚erfunden‘ wie Musik, Mathematik oder Schmuck. Was wir ‚Geld‘ nennen, ist überhaupt kein ‚Ding‘; es ist eine Art, Dinge mathematisch zu vergleichen, als Proportionen: zu sagen, ein Stück X ist das Äquivalent von sechs Stück Y.“ Wie wir vergleichen, das bestimmt eine Autorität, denn die „Die Werteinheit ist stets ein historischer Begriff“ (Knapp 1905: 9). Das Gesetz bestimmt, welche relativen Schuldverhältnisse herrschen und wer Geld schöpft.

Geld entstand also nicht als Tauschmittel, um den Tauschhandel effizienter zu machen, sondern als standardisierte Recheneinheit, um Abgabepflichten zu berechnen.

„Der Markt allein kann kein brauchbares Geld erzeugen und erhalten… Nur eine Autorität kann die Anarchie des Tauschhandels überwinden und ein einheitliches Zahlungsmittel als Wertmaßstab etablieren.“

Ingham (2004: 57)

Privates Geld nicht ausgeschlossen

Diese Autorität kann jedoch auch von privaten Organisationen, Städten, Geschäftspartnern, und anderen Gruppen ausgeübt werden (Desan 2014). Private Münzen, die im Laufe der Jahrtausende von allen Seiten angeboten wurden, waren wie private Schuldscheine, ein Zeichen von „privater Verschuldung“ (Wray 2000). Indem sich Menschen durch ihre gemeinsame Arbeit zunehmend organisieren, gestalteten sie auf ihrer Ebene eine eigene Politik und eine Gruppe, die Entscheidungen trifft.

Ein berühmtes Beispiel sind die Gas-Guthaben von Gazprom, mit denen nach dem Fall der Berliner Mauer die Industriebetriebe in Russland handelten. Das staatliche Geld war wertlos und so stiegen die Firmen auf Schuldscheine um. Die Unternehmen in Russland hatten alle hohe Gasrechnungen zu begleichen. Der, der am Tag der Abrechnung den Schuldschein hatte, konnte damit seine Schulden bei Gazprom begleichen. 

Das Lakhta Center, ein 87-stöckiger Wolkenkratzer in Sankt Petersburg, Russland und Hauptsitz von Gazprom. © Ad Meskens

Deshalb ist der Begriff „Staatliche Theorie des Geldes“ für Uneingeweihte irreführend und auch Knapp bevorzugte das von ihm geprägte Wort „Chartalismus“. Wullweber schlägt deshalb außerdem vor, den Begriff der „Autorität“ von Ingham (2004: 76) um den Hegemoniebegriff bei Laclau (2005) zu erweitern, um einerseits deutlich zu machen, dass Geld auch unabhängig vom Staat funktionieren kann, und andererseits die wichtige Rolle des Staats in unserem heutigen Geldsystem hervorzuheben.

Die Geschichte des Geldes ist eine Geschichte von Machtkämpfen

Die Entstehungsgeschichte des Geldes zeigt uns, wie politisch geladen die Geldschöpfung von Anfang an war. Sie erinnert uns daran, dass Geld, wie jede Münze, zwei Facetten hat (cf. Hart 1986). Es bietet uns eine Infrastruktur, die es uns erlaubt, unsere materielle Welt effizient zu ordnen und zu verteilen, die Arbeitsteilung und Beteiligung ermöglicht. Gleichzeitig ist Geld „despotisch“ (Mann 1986). Es ist ein Medium, das von Partikularinteressen beschlagnahmt wird. Geld verteilt Macht. Hier geht es nicht nur darum, wer wie viel Geld besitzt, sondern vor allem darum, wer Geld schöpft und an wen es wofür vergeben wird. Schon Weber hat Geld deshalb als eine Waffe im Kampf um unser ökonomisches Bestehen betrachtet. 

Geld verschleiert die Partikularinteressen, die es fördert

Damit etwas von einem „spezifischen Zahlungsversprechen zur allgemeinen Geldform“ wird, braucht es einen politischen Akt, durch den ein Objekt, wie eine Münze, eine Tontafel oder ein Geldschein, in ein allgemeines Äquivalent verwandelt wird (Wullweber 2021: 65). Bei diesem politischen Prozess versuchen verschiedene Gruppen ihre Partikularinteressen zu schützen und „zu verallgemeinern“. Wichtig dabei ist, dass im Laufe dieses Prozesses das dominierende Partikularinteresse unerkennbar wird, je stärker es „universalisiert“, also hegemonial verallgemeinert, wird, wie Laclaus Theorem des Mastersignifikaten nahelegt (Wullweber 2021: 65). 

Deshalb ist Geldpolitik „nie nur eine Frage der Funktionalität, sondern auch das Ergebnis eines sozialen und politischen Kampfes, in dem die Wirtschaftstheorie die konkurrierenden Interessen informiert und ihnen einen Platz zuteilt.“ (Ingham 2004: 56).

„Wenn nun der Staat das Zahlungsmittel ändert …, also durch Einführung eines neuen Zahlstoffes an Stelle des alten — werden dadurch Interessen geschädigt? Ganz gewiss geschieht das; weshalb auch nicht, wenn der Staat überwiegende Gründe hat; er kann seine Ziele nie anders erreichen als so, dass gewisse private Interessen darunter leiden. Es fragt sich aber, welche Interessen geschädigt werden…“

G. F. Knapp „Staatliche Theorie des Geldes“ S.14

Das nächste Mal, wenn Sie sagen wollen „Bin ich Krösus?“, fragen Sie jetzt vielleicht nicht nur: Bin ich so reich wie Krösus, sondern auch, bin ich so mächtig, um einen Währungsstandard festzulegen und durchzusetzen?

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