Was bedeutet Kapitalismus, eigentlich?

Manche wollen ihn abschaffen, andere reformieren. Aber was genau meinen sie mit “Kapitalismus”?

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Das Oxford Dictionary of Business and Management definiert Kapitalismus als „Ein Wirtschaftssystem, in dem die Produktionsfaktoren in Privatbesitz sind und die einzelnen Kapitaleigentümer frei sind, sie nach eigenem Gutdünken zu nutzen, insbesondere für ihren eigenen Profit. In diesem System spielen der Markt und der Profitmechanismus eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, was produziert werden soll, wie es produziert werden soll und wem das Produzierte gehört. Siehe auch freier Wettbewerb; Privatwirtschaft.“

Eine plausiblere Definition?

Doch mit der typischen Definition der meisten Wörterbücher könnten fast alle Wirtschaftssysteme über die Jahrtausende als „kapitalistisch“ gelten. Aus diesem Grund verwirft die Historikerin Howell von der Columbia University diese Definition. Sie definiert „Kapitalismus“ in ihrem Buch Commerce Before Capitalism als eine Gesellschaft, in der man Waren nicht mehr für sich selbst produziert und den Überschuss auf dem Markt verkauft, sondern mit dem Ziel produziert, die Waren zu verkaufen und durch den Verkauf einen Gewinn zu erzielen. Jeder müsse Gewinn machen, um den Gewinn zu reinvestieren, damit der Konkurrent am Ende der Straße einen nicht aus dem Geschäft wirft. Jeder, der im Einzugsgebiet des Kapitalismus lebt, sei also in diese Logik angebunden. 

Geld im Zentrum?

Für den Soziologen Geoffrey Ingham (2004) ist „Geld“ die „zentrale Institution des modernen Kapitalismus“. Er argumentiert: „Der besondere strukturelle Charakter des Kapitalismus ist in der Produktion von Kreditgeld zu verorten. Der Kapitalismus beruht auf dem gesellschaftlichen Mechanismus der „Monetarisierung“ privater Schulden im Bankensystem.” Wenn eine Bank einen Kredit vergibt, schafft sie eine Geldeinlage. Das klappte bei den “Banken” in der Antike nicht. 

Diese Besonderheit sieht auch die Harvard Rechtshistorikern Christine Desan als entscheidendes Merkmal des Kapitalismus an. Sie definiert Kapitalismus als Bezeichnung für die Neugestaltung des Geldes in England, die das „Kapital“ in den Mittelpunkt der Wirtschaft stellte. Wie? „Geld, das lange Zeit seinen Nutzern in Rechnung gestellt wurde (Münzprägung), wurde nun als Ressource ausgegeben, die durch öffentliche Gelder abgesichert und von Banken, die aus Profitinteresse arbeiteten, zur Expansion freigegeben wurde“. Mit dieser Veränderung „erfanden die Engländer ein neues Repertoire an materiellem Wert, eine besondere Art von Währung“. 

Deshalb stellt der Ökonom Joscha Wullweber fest: „Das heutige Warensystem und der Kapitalismus insgesamt könnten nicht bestehen, wenn es die Geldform nicht gäbe, die in der Lage ist, die vielen sehr unterschiedlichen Objekte vergleichbar und damit handelbar zu machen.“

Begriff lieber sparsam verwenden?

”Kapitalismus hat so viele Definitionen wie Kommentatoren“

Christine Desan (2014)

Ist es aufgrund der verschiedenen Interpretationen des Wortes sinnvoll das Wort zu meiden? Vielleicht. Auf jeden Fall darf  jedoch die enge Beziehung, die den Begriff „Kapitalismus“ mit der Rolle des Geldes in der Gesellschaft verbindet, nicht missachtet werden.

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