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Warum sprechen wir von “Degrowth”?

Der Begriff “Postwachstum” wirkt unglücklich gewählt. Oder steckt dahinter vielleicht eine Strategie?

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Für BP ist “Nachhaltigkeit” fest verankert in der Weise, wie sie Geschäfte machen. BMW agiert nach dem Prinzip “Nachhaltigkeit first”. Doch “Postwachstum” (degrowth auf englisch, décroissance auf französisch) schrieb sich noch kein Unternehmen auf die Fahne. 

Kein Wunder. Der Begriff schafft keine Zuneigung, auch nicht wirklich Neugier. Wer will schon schrumpfen?  Das Wort bringt viele Vorurteile mit sich. “Degrowth” ähnelt Wörtern wie “decline” und riecht deshalb für viele nach Armut. 

Dabei verfolgt Degrowth eine gegensätzliche Absicht: Degrowth hat das Ziel die Gesellschaft wieder auf das Ziel von menschlichen Wohlergehen ins Zentrum zu stellen. Es fordert “a downscaling of production and consumption that increases human well-being and enhances ecological conditions and equity on the planet.” (degrowth.org). Warum hat man sich so einen Begriff ausgedacht für ein eigentlich ganz plausibles Vorhaben?

Der Begriff ist die Übersetzung des des französischen Worts “décroissance”. André Gortz verwendete das Wort das erste mal in 1972 als er bemerkte, dass Gleichgewicht der Erde kein Wachstum — oder sogar “décroissance” — der der materiellen Produktion erfordern würde. Nicholas Georgescu-Roegen benutzte es einige Male und als seine Essays von Jacques Grinevald und Ivo Rens ins Englische übersetzt wurden, einigten sie sich auf “degrowth”.  In den 2000ern wurde das Wort als Provokation von französischen Aktivisten genutzt. Paul Ariès beschrieb es als “missile word”, es sollte Menschen nachdenklich über Wachstum (“growth”) machen. Für Latouche arbeitet das Wort gegen den Glauben, dass mehr immer besser ist. Es sollte nicht, wie die Wörter “Nachhaltigkeit” oder “nachhaltige Entwicklung” ihrer Bedeutung entleert werden und “die Bewegung von falschen oder simplistischen Lösungen bewahren” (Liegey and Nelson 2020, 11). 

Vielleicht ist als das zuerst unbeholfen ausgewählt erscheinende Wort ein cleverer Schachzug? Es ist sehr unwahrscheinlich, dass BP sich “Postwachstum” auf die Fahne schreiben wird und deshalb “weitaus weniger wahrscheinlich, dass der Begriff von wachstumsorientierten Politikern assimiliert und neutralisiert wird als sein Vorgänger ’nachhaltige Entwicklung’.” (Dittmer 2013, 4)

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