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Ein garantierter Job

Könnte eine Job-Garantie die “Was ist mit den Jobs?” und das “Wie sollen wir das bezahlen?” Argumente gleichzeitig lösen?

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Credit: The New York Public Library

1933 dokumentierte eine Gruppe von Soziologen von der Universität Wien in dem zum Klassiker gewordenen Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit, dass ein Arbeitsplatz Menschen mehr als ein Einkommen bietet. Ein Arbeitsplatz schafft Selbstwertgefühl und Struktur. Fällt er weg, fallen viele in ein tiefes Loch. 1 von 5 Selbstmorden ist mit Arbeitslosigkeit verbunden. Arbeitslosigkeit ist bedauerlich, aber unvermeidlich. 

Warum, eigentlich? Warum garantieren wir Menschen eine Ausbildung, einen Strafverteidiger oder Zugang zu einer Feuerwehr und Polizei, doch um einen Job muss jeder kämpfen?

Ökonomen erklären, dass eine gewisse Arbeitslosigkeit wichtig sei, damit Arbeiter nicht zu viel Macht bekommen, um für zu hohe Gehälter zu kämpfen und damit die Preise steigen zu lassen (NAIRU auf Englisch: Non-Accelerating Inflation Rate of Unemployment). Doch laut der Ökonomin Pavlina Tcherneva ist NAIRU ein Mythos (Tcherneva 2020, 25). Laut Tcherneva „gibt es keine wirtschaftlichen, sozialen oder moralischen Gründe, Arbeitslose als Schutzschild gegen die Inflation zu benutzen” (40). Es gibt schließlich auch kein optimales Level an Analphabeten, um die Kinder in der Schule zu motivieren, oder ein optimales Niveau an Obdachlosen.

Um genügend Essen zu garantieren, stabilisieren viele Staaten die Nahrungsmittelpreise und kaufen den Überschuss im Rahmen von Pufferbestands-Programmen. Auf ähnliche Weise sicherte die US Regierung lange Zeit auch den Goldpreis, indem sie Gold kaufte oder verkaufte, wenn die private Nachfrage nach Gold sank oder stieg (50). 

Die private Nachfrage nach Arbeitskräften hängt davon ab, ob es profitabel für Unternehmen ist. Doch Arbeit muss jeder für sich selber sichern. Der Staat legt einen Mindestlohn fest und in Europa auch Kündigungsbedingungen. Er bietet jedoch nicht an die „überschüssigen Arbeitskräfte“ aufzukaufen. Warum nicht?

Eine wachsende Gruppe an Ökonomen, Wissenschaftlern und Aktivisten schlägt eine Alternative vor: Eine Garantie auf Arbeit. Jeder, der einen Job sucht, soll einen bekommen. Menschen sollen ein Recht auf Arbeit haben. Eine “Job Garantie”. 

„Umweltgerechtigkeit kann nicht ohne wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit erreicht werden.“ 

Tcherneva (2020) 4

Experimente

Heute ist Mariethal in Gramatneusiedl eingegliedert, einen 3000 Einwohner Städtchen im Speckgürtel von Wien. Und dieser Ort, der vor 100 Jahren unser Verständnis von Arbeitslosigkeit veränderte, hat einen neuen Versuch gestartet, unser Verständnis von Arbeitslosigkeit auf den Kopf zu stellen.

Seit Oktober 2021 bietet der niederösterreichische Arbeitsmarktservice im Rahmen des Projekts „Arbeitsplatzgarantie Marienthal“ (MAGMA) jedem Bewohner, der länger als ein Jahr arbeitslos war, die Option an, anstelle des Arbeitslosengeldes einen garantierten Job zu bekommen. Jeder, der einen Job haben möchte, bekommt einen. Zumindest solange das Pilot-Programm bis 2024 läuft. Ein “Job” kann eine Stelle im Privatsektor sein. Ein Job kann aber auch speziell für die Person geschaffen werden, orientiert an ihren oder seinen Fähigkeiten und den Bedürfnissen der Gemeinschaft.

112 Menschen haben das Programm bereits benutzt. Sie alle starten mit einem 8-wöchigen Kurs, in dem sie mit Sozialarbeitern unter anderem besprechen, was für einen Job sie gerne hätten. Am Anfang des Programms haben einige vorgeschlagen, eine Tischlerwerkstatt zu eröffnen und alte Möbel zu restaurieren. Andere wollten gerne die öffentlichen Grünflächen und Parks pflegen. Sie werden jetzt dafür bezahlt. Die Jobs sind flexibel. Arbeitszeiten variieren zwischen 16 und 38 Stunden. Es wird sichergestellt, dass keiner weniger verdient als davor mit seinem Arbeitslosengeld. Gehälter variieren zwischen 1100 und 2400 Euro pro Monat. Am Ende zahlt der Staat für jeden JG Menschen nur EUR 29.841,39 pro Jahr. Jeder Arbeitslose koststet rund EUR 30.000,00. Die Ökonomen Lukas Lehner und Maximilian Kasy von der Universität Oxford fanden eine statistisch signifikante Verbesserung in der Lebensqualität der Teilnehmer. 

Das Experiment ist nicht das erste Programm, das mit der Idee einer Jobgarantie spielt. Experimente in Argentinien (Plan Jefes, bei dem bis zu 13 % der Arbeitskräfte eingestellt wurden, bis sich die Wirtschaft wieder stabilisierte), Südafrika, Belgien oder Indien (NREGA) zeigen, dass die Jobgarantie nicht nur eine Option für einen wirtschaftlichen Hegemon wie die USA ist. Das größte Vorbild ist für viele das New-Deal-Programm unter FDR, an dem nach der Großen Depression rund 13 Millionen Amerikaner teilnahmen. Es war sehr populär. Die Beispiele zeigen auch, dass ein solches Programm in sehr kurzer Zeit aufgelegt werden kann (Tcherneva 2020, 98).

Unterstützung

Ist deshalb die Frage eher: Warum gibt es noch keine Job Garantie? Die Idee ist schließlich nicht neu. Und öffentliche Unterstützung scheint vorhanden zu sein. Zwischen 52 und 78 % der amerikanischen Wähler würden das Programm unterstützen. Dazu gehören auch Republikaner und Trump-Wähler. Ein Meinungsforschungsinstitut sagte, es sei „eines der populärsten Themen, die wir je befragt haben“ (Tcherneva 2020, 114)

Doch Pushback gegen die Job Garantie könnte von Arbeitgebern kommen, meint der Soziologe Jörg Flecker von der Universität Wien, der das Programm in Marienthal untersucht.

Zu viel Staat?

Würde das Programm zu einem großen Staatsapparat führen? Nein, meint Tcherneva. Wir zahlen bereits für die Arbeitslosigkeit. Und der Umfang des Jobgarantie-Programms würde von dem privaten Sektor abhängen.

Keine Währungshoheit? Lokale Gemeinschaften, Städte, Provinzen und Länder ohne Währungshoheit können auch eine Jobgarantie einführen. Matthew Forstater schlägt vor, die gemeinnützige Arbeit in einer lokalen Komplementärwährung zu bezahlen (Forstater 2018, 160). Die lokale Regierung könnte Steuerzahlungen von Haushalten in dieser Währung verlangen. Sie könnte dann jeden, der gerne einen Job hätte, eine gemeinnützige Arbeit anbieten, die sie in der Komplementärwährung bezahlt, eine Einheit pro Stunde. Da auch andere in der Region die Währung brauchen, um ihre lokale Steuer zu begleichen, werden die Arbeiter diese Währung wieder weitergeben können. 

Folgen

Eine Job Garantie scheint auch noch drei verstecktere Implikationen: (1) Eine Jobgarantie gibt uns die Chance “Arbeit” zu redefinieren, (2) eine Jobgarantie würde die Geldinfrastruktur neu ausrichten, und (3) eine Jobgarantie könnte us, unter gewissen Bedingungen helfen, den Energie-und Materialverbrauch zu senken.

Geldinfrastruktur verändern

“Wer darf in unserer Gesellschaft Geld verteilen und zu welchem Zweck?” ist eine zentrale politische Frage, weiß der Soziologe Jakob Feinig. Die Verbindung zwischen Geld und Arbeit geht auf die Ursprünge des Geldes zurück. Ursprünglich wurde Geld an die Menschen vergeben, die einen Beitrag zu einer Kollektive leisteten, z.B. als Soldat oder als Weizenproduzent oder als Wasserwerksarbeiter. Geld, war wie eine Bescheinigung, die dem Staat zur Steuerzeit signalisierte, dass der Beitrag zur Gemeinschaft bereits geleistet wurde. 

Doch im Moment dürfen die Banken Geld schöpfen und die Prioritäten unserer Gesellschaft setzen. Ihre Priorität ist Profit. Das Geld der Banken fließt dorthin, wo Arbeit Profit durch den späteren Verkauf von Produkten verspricht. Das Geld fließt an Unternehmen, von denen wir hoffen, dass sie genügend Jobs bereitstellen. Da sie das nur tun solange es für sie profitabel ist, versucht die Politik alles zu tun, um Arbeitsplätze profitabel zu machen. 

Warum nicht direkter? Anstatt darauf zu hoffen, dass Unternehmen genügend Jobs bereitstellen und Geld an Arbeiter fließen lassen, könnte der Staat auch direkt Jobs schaffen und das Geld somit anders verteilen — und für einen anderen Zweck. Mit einer Jobgarantie könnte Geld direkt an Arbeitssuchende fließen. Wir könnten neu und demokratisch bestimmen, was „produktive Arbeit“ für uns ist.

Arbeit neu definieren

Eigentlich arbeiten wir fast alle fast den ganzen Tag, jeden Tag — Frauen etwas mehr wie Männer. Doch das übersehen wir gerne, weil wir heute Arbeit mit einem Job gleichsetzen. Als Jobs gelten v.a. männlich geprägte Arbeiten (wie Investmentbanker). Arbeit beinhaltet aber auch Hausarbeit, Essen kochen, Kinder großziehen. Deshalb definiert der Arbeitshistoriker Jan Lucassen “Arbeit” als “alles menschliche Streben, abgesehen von Freizeit und Erholung” (Lucassen 2021, 3). 

Die meisten Arbeiten, die einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, wie z. B. die Betreuung von Kindern, älteren Menschen, kranken Familienmitgliedern oder Tieren, Open-Source Code schreiben oder eine Webseite auf Wikipedia schreiben, werden nicht bezahlt. Wir tun sie als Familienmitglieder oder als Freiwillige. Wir tun sie in unserer Freizeit. Aber ist das nicht auch Arbeit, Arbeit, die in vielen Fällen vielleicht mehr zum Funktionieren unserer Gesellschaft beiträgt als ein Unternehmensanwalt?

Viele Arbeiten, die einen Beitrag zur Gesellschaft leistet, werden nicht bezahlt. Beispielsweise werden die IPCC Wissenschaftler, die die IPCC Reports zusammenfassen, nicht bezahlt. Sie machten ihrer Motivation heraus etwas sinnovolles zu tun. Viele Arbeiten, die zu einer lebenswerten Gesellschaft beitragen, wie Vereinsarbeit, Kunst oder Hausarbeit, nicht als Jobs zu haben sind.

Viele andere Aktivitäten, die der Gesellschaft eher zu schaden scheinen, wie z.B. Investmentbanker oder Devisenhändler, sind jedoch besonders angesehene Jobs und werden besonders bezahlt. Sie sind besonders gut darin, Geld zu vermehren. Eine Jobgarantie verspricht die Option, diese Prioritäten zu ändern. 

Die Jobgarantie fällt kein Urteil darüber, welche Arbeit “sinnvoll” ist. Vielmehr darf jeder selber entscheiden, welche Arbeit ihm sinn gibt und das Gefühl vermittelt, zur Gesellschaft beizutragen — etwas, das verloren geht, wenn man arbeitslos ist. 

Viele junge Menschen würden vielleicht gerne an etwas arbeiten, das dazu beiträgt, die ökologischen Krisen vorzubeugen. Es gibt jedoch nur wenige Jobs in NGOs und Staat und nicht jeder ist als Ingenieur oder Handwerker fähig, Solaranlagen zu entwerfen und Häuser zu isolieren. Die meiste Arbeit, die nötig wäre, im Kampf gegen den Klimawandel und Conservation work erzeugt keinen Output und ist deshalb uninteressant für den Privatsektor. Und so müssen viele junge Menschen die schwere Entscheidung treffen, den Aktivismus in die Freizeit zu verlegen und einen Job in der Unternehmenswelt anzunehmen, der wenigstens Geld und sozialen Status bringt. Eine Jobgarantie könnte vielleicht vielen jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich hauptberuflich für Menschen und den Planeten einzusetzen. 

Kann eine Jobgarantie unseren Energie-und Materialverbrauch reduzieren?

Eine JG führt nicht automatisch zu weniger Energie-und Materialverbrauch. Im Gegenteil: Theoretisch könnte eine JG den durchschnittlichen Konsum über einen Konjunkturzyklus erhöhen, weil nicht der typische Konsum-Fall in der Bust-Phase kommt. 

Laut B. J. Unti müssen 3 Konditionen erfüllt sein, damit die JG uns hilft Energie-und Materialverbrauch zu reduzieren: Erstens muss die Arbeit in der Jobgarantie weniger produktiv sein als die Arbeit im Privatsektor. Zweitens muss der Lohn in der Jobgarantie niedriger sein als im Privatsektor. Drittens, und hier unterscheidet er sich zu vielen herkömmlichen Verfechter der JG, müssten mit der Zeit immer mehr Leute in die JG wechseln, der Anteil der JG-Beschäftigung an der Gesamtbeschäftigung müsste steigen. 

Weniger “produktiv” kann die Arbeit in der Jobgarantie sein, weil die Arbeit nicht an möglichst viel Output in möglichst kurzer Zeit gebunden ist. The Job Guarantee is „organized around care and conservation work“ (65), organisiert unter dem Motto „Sorge für die Umwelt, Sorge für die Menschen und Sorge für die Gemeinschaft“ (94). Care-Arbeit ist von Natur aus arbeitsintensiv und lässt sich nur bis zu einem gewissen Grad “produktiver” machen bevor der “Output” leidet. Ein Lehrer kann nur eine gewisse Zahl an Schülern unterrichten, eine Pflegekraft sich nur um eine bestimmte Anzahl an Patienten kümmern.

Da Arbeitslosigkeit steigt, wenn Unternehmen weniger Produkte verkaufen können, liegt die Priorität auf Quantität nicht Qualität. Die allgemeine Nachfrage nach neuen Dingen darf nicht fallen, sonst steigt die Zahl der Arbeitslosen. Eine Jobgarantie könnte diesen Kreislauf brechen. Die Nachfrage könnte fallen ohne dass die Zahl der Arbeitslosen in die Höhe schnellen zu lassen. Produkte könnten haltbarer und weniger gekauft werden ohne dass die Bevölkerung auf die Barrikaden geht (davon abgesehen, dass die Firmen das wahrscheinlich anders sehen werden). 

Die Jobgarantie setzt mit ihrem garantierten Gehalt einen Boden für das Gehalt, dass der Privatsektor zahlen muss. Zahlt er weniger, wechseln die Menschen wahrscheinlich in die Jobgarantie. Tcherneva schlägt vor, den Lohn für alle, die die Jobgarantie in Anspruch nehmen, auf 15 Dollar pro Stunde festzulegen (im Gegensatz zu einem gestaffelten System). Auf diese Weise würde eine Jobgarantie den Konsum laut Unti auch nicht weiter anheizen. 

Anziehungskraft

Wenn aber nicht die Gehaltsversprechen Menschen anlocken können, warum sollten Menschen sich für die Jobgarantie entscheiden? Langzeitarbeitslose und ältere Menschen haben es schwer einen Job im Privatsektor zu finden. Ihnen gibt die Jobgarantie eine neue Chance. Doch auch viele andere Menschen könnten von den nicht-monetären Vorteilen angezogen werden: erfüllendere Arbeitsplätze, bessere Arbeitsbedingungen und -zeiten, das Gefühl etwas zur Gesellschaft beitragen zu können.

Ist es also Zeit, dass wir die Agentur für Arbeit die Chance geben, jedem der durch ihre Tür geht, eine Arbeit zu vermitteln?

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