Dass das “System” heute absolute Reduktionen im Energie-und Materialverbrauch verhindert, sagt uns nicht viel. Deshalb will ich es veranschaulichen:
Ein beliebiger Autohersteller produzierte letztes Jahr X Autos. Dieses Jahr kann er nicht plötzlich X-5000 Autos produzieren. Seine Investoren würden rebellieren. Wenn die Zahl nächstes Jahr nicht wieder steigt, könnte er vielleicht seine Kredite, die auf steigenden Prognosen beruhen, nicht bedienen oder prolongieren.
Wie kann der Autohersteller also seinen Energie-und Materialverbrauch reduzieren? Indem es Solaranlagen auf die Dächer schraubt und E-Autos baut. Doch gleichzeitig dreht sich der Autohersteller um und versucht uns zu überzeugen, unsere funktionierenden Autos durch schickere und neuere Varianten zu ersetzen oder gar zu ergänzen. Er muss gleich viel oder mehr Autos verkaufen. Und diese Produktion braucht nun einmal viel Energie und Material — auch wenn der Autohersteller im Moment noch in den Randbereichen kleine Reduktionen beim Energieverbrauch erreichen kann.
Und so geht es auch allen anderen Firmen. Auch wenn familiengeführte Unternehmen nicht umbedingt immer mehr verkaufen müssen, so kämpfen sie doch dafür, dass ihr Absatz nicht fällt.
Auch wenn jeder von uns einen viel länger haltbareren Kühlschrank hätte, könnte Siemens sich nicht zufrieden zurücklehnen und weniger produzieren bis es wieder Bedarf gibt. Was würde dann mit den Arbeitern passieren? Wie sollen sie dann ihre Kredite bedienen? Jeder Vorstand, der diesen Ansatz probiert, würde doch von den Miteigentümern bei der nächsten Versammlung freundlich gebeten werden, seinen Stuhl zu räumen.
Geplante Obsoleszenz
Dieser Druck führt zu dem Phänomen von “geplanter Obsoleszenz”. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts erkannten Unternehmer, dass sie eine Glühbirne, die ewig brennt (wie die „Centennial Light Bulb“ es seit 1901 tut), vollkommen unpraktisch wäre. Was wäre sobald alle genügend Glühbirnen hätten?
Und so reduzieren wir seit diesen Erkenntnissen die Haltbarkeit der Produkte immer weiter. Die Produkte kommen uns heute nicht nur kurzlebiger vor. Sie sind es auch. Sie müssen es sein. Sonst hätte jede einzelne Firma heute ein Problem.
Müsste Olaf Scholz also nur eine Mindestlebenszeit für Produkte festlegen — ermittelt auf Basis der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber wie lang ein jeweiliges Produkt leben könnte (ohne Wirtschaftlichkeit mit einzubeziehen)?
Ohne weitere Veränderungen könnten das Unternehmerverbände wohl nicht zulassen. Und auch wenn sie den Kampf verlieren sollten, würden voraussichtlich viele Firmen entweder Pleite gehen oder, wie Wasser, dass immer einen Weg findet, um Hindernisse herum zu fließen, neue Produkte suchen, die sie verkaufen können oder vielleicht uns einreden, dass ein Kühlschrank nicht mehr reichen würde, sondern wir künftig besser mit zwei Exemplaren leben können. Sonst würde es vermutlich für die einzelne Firma zu einer sehr schmerzhaften Dysbalance in der Bilanz kommen, die nur größere Firmen eine Zeit lang verkraften können.
Um es wirksam zu machen, bräuchte ein solches Gesetz wohl Gehilfen, die zuerst den Druck immer mehr zu verkaufen, um immer mehr Geld zu verdienen, aushebeln oder lockern.
Doch ist das überhaupt möglich? Oder wäre eine Insolvenz vieler Firmen ganz im Sinne des Ziels, Energie-und Materialverbrauch zu reduzieren? Schließlich brauchen wir wohl in einer wirklich nachhaltigeren Welt nicht mehr 10 Fast-Fashion Marken, sondern vielleicht noch ein oder zwei große oder 10 kleine Firmen? Welche Rolle haben Firmen auf dem Weg zu Degrowth?
Diese Frage ist wohl derzeit noch nicht eindeutig beantwortet. Doch klar scheint, solange wir uns nicht Gedanken über den Druck machen, immer mehr zu verkaufen, um immer mehr Geld zu verdienen, kann sich der Energie-und Materialverbrauch nur an den Rändern reduzieren, wenn überhaupt. Das haben die letzten 20 Jahre gezeigt.
Der „grüne“ Markt
Natürlich gibt es auch Produkte und Dienstleistungen, die uns dabei helfen können, den Energie-und Materialverbrauch zu reduzieren. Solaranlagen und Windräder springen sofort in die Kopf, aber auch Menstruationstassen, die Binden und Tampons ersetzen, oder Glasfaserkabel oder Fahrräder, die Autos ersetzen.
Doch wir stoßen schnell an ein Problem: Wie viele Jutebeutel braucht man zum Einkaufen? Und wenn Johnson & Johnson auf Menstruationstassen umstellen würde, die grundsätzlich rund 10 Jahre halten, würde der Umsatz wohl insgesamt in den Keller fallen.
Viele nachhaltige Produkte halten einfach zu lange. Nach der Anfangsphase, in der jeder ausgestattet wird, könnte der Absatz erstmal in den Urlaub gehen. Doch genau das will jede Firma verhindern. Wir stoßen also auch hier wieder an das gleiche Problem. Auch nachhaltige Firmen müssen Produkte verkaufen. Doch weiter gilt: der grünste Konsum, um Energie-und Materialverbrauch zu reduzieren ist der, der nicht stattfindet. Aber ein Startup, das “Nichts” verkauft, verkauft auch nichts.
Umstieg in die Dienstleistungsgesellschaft?
Doch heute dreht sich ja sowieso der meiste Konsum nicht mehr um Produkte, sondern um Dienstleistungen, wird oft argumentiert. Ich kaufe mir von meinem Gehalt nicht 10 Paar Laufschuhe von Nike, sondern vielleicht eher “Coaching” von einem Laufcoach. Der einzige Energieverbrauch hier sind die Kalorien, die von meiner Hüfte gezehrt werden.
Doch was macht der Laufcoach mit dem Geld? Nimmt er auch Laufunterricht oder vielleicht Musikunterricht? Studien haben gezeigt: Nein. Am Ende fließt das Geld wieder in Produkte.
Prinzipiell könnte man sich natürlich durchaus vorstellen, dass wir mit Geld nur noch Dienstleistungen handeln (und nur noch am Rande Essen und andere materielle Produkte erwerben). Doch die Praxis widerlegt das. Höhere Staatsausgaben, beispielsweise, sind gleichzeitig mit Wirtschaftswachstum verbunden, welches üblicherweise sehr eng mit CO2-Ausstoß korreliert ist.
Außerdem sind die meisten Dienstleistungen eng mit Produktion verbunden. Warum ist der digitale Sektor so erfolgreich? Weil er Werbeplatz verkauft. “Digitale Services” schweben auch nicht einfach durch den Äther, sondern benötigten eine für uns meist unsichtbare Infrastruktur an Datenzentren und Glasfaserkabeln, die Energie-und Material verbrauchen (wenngleich sie viel weniger verspeisen als die Produkte, die sie ersetzen, regen sie uns doch dazu an, nicht mehr aufzuräumen und diesen Verbrauch dadurch immer verschwenderischer zu machen. Der Jevons-Paradox lässt grüßen). Auch hier kann man auf neuere, effizientere Kabel setzen. Aber das verändert wieder nur den Verbrauch in den Randbereichen. Ihr Aufstieg hat noch zu keine spürbaren Materialreduktion geführt.
Selbst Berater arbeiten in vielen Fällen für Unternehmen mit Produktion und helfen ihnen mit dem Ziel, oft noch mehr zu verkaufen — dafür fliegen um die Welt. Und Banker geben Kredite an diese Unternehmen, wenn diese wiederum versprechen, noch mehr Produkte an die Frau oder den Mann zu bringen. Viele Dienstleistungen sind auch nicht gerade Energie-und Materialarm. Die Lufthansa wäre da ein sehr gutes Beispiel.
Das heißt natürlich nicht, dass es auch verbrauchsarme Dienstleistungen gibt. Lehrer, beispielsweise, oder Krankenschwestern (auch wenn sie in der Pflege viel Material verbrauchen, ist das wohl von allen gewünscht) oder Dienstleister, die sich für Asset Manager um Windräder kümmern oder Häuser verwalten und Mieten eintreiben. Hier stellt sich wieder die Frage: Wo kommt das Geld her, das sie eintreiben, und wo fließt es hin? Was haben die Mieter verkaufen müssen, um ihre gestiegenen Mieten begleichen zu können?
Jeff Bezos mag vielleicht eine Dienstleistung entwickelt haben (die uns dazu gewinnen möchte, noch mehr zu kaufen) aber sein beträchtlicher ökologischer Fußabdruck zeigt, dass Dienstleistungen alleine nicht dazu beitragen werden, unseren Energie-und Materialverbrauch zu reduzieren. Auch Dienstleistungen müssen eine Art “Produkt” verkaufen. Und als dankbare Abnehmer finden sich meistens produzierende Unternehmen oder in der Produktion arbeitende Verbraucher.
Privatisierung von Infrastruktur
Doch der Zwang etwas zu verkaufen führt uns in noch eine weitere Abhängigkeit: Verkaufen kann man nur das, was einem gehört. Sei es eine Schwimmente, Boden oder Glasfaserkabel. Je satter wir sind vom reinen Konsum, desto mehr sind Firmen, die Erträge brauchen und Geld verdienen müssen, gezwungen neue “Produkte” zu suchen (wir sprechen schließlich auch von “Finanzprodukten”).
Hier hat sich die Privatisierung von Infrastruktur und Land und Häusern als attraktiv erwiesen. Wir sind auf sie angewiesen und müssen die Mieten und Heizkosten oder Internetkosten bezahlen — ob sie uns zu teuer erscheinen oder nicht. Doch auch wenn Blackstone und Co. durch ihre Dienstleistungen gut Geld verdienen ohne viel Energie-und Material dabei zu verbrauchen, zwingt es uns Mieter und Benutzer mehr Geld zu verdienen, um die Kosten zu stemmen. Wenn die Kosten der Infrastruktur steigen oder Arbeiter mehr Lohn fordern, können Unternehmer zwar bis zu einem gewissen Grad ihre Margen kürzen und gleichzeitig mehr verkaufen, doch dann müssen sie es auf die Konsumenten abwälzen, die Preise erhöhen. Wir müssen noch mehr Geld verdienen. Irgendwann hilft nur noch höhere Produktivität — also mehr Produktion von Produkten in einer gegebenen Zeiteinheit, die auch wieder verkauft werden müssen muss.
Das Beispiel Krankenhaus zeigt, dass es nicht darum geht, keine Energie oder Materie mehr zu verbrauchen. Wahrscheinlich scheint die Energie der Sonne noch die nächsten 5 Milliarden Jahre jeden Tag zuverlässig auf die Erde. Doch wieviel wir von ihr nutzen können ist von Rohstoffen gedeckelt. Stattdessen ist es vielleicht an der Zeit demokratisch zu überlegen, wofür wir unsere verfügbare Energie und Rohstoffe ausgeben wollen. Denn anders als Geld sind sie begrenzt.