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Der Ersatz-“Nobelpreis“

Kann die Geschichte hinter dem Wirtschaftsnobelpreis die Herrschaft einer bestimmten Denkschule in den Wirtschaftswissenschaften erklären?

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Nobelpreis 2010, Pressekonferenz mit den Preisträgern der Nobelpreise in Chemie und Physik und des Preises für Wirtschaftswissenschaften an der KVA. © Holger Motzkau, Wikipedia/Wikimedia Commons (cc-by-sa-3.0)

Alfred Nobel hatte keinen Preis für Ökonomen vorgesehen als er 1895 sein Testament aufsetzte. Er wollte diejenigen in Physik, Chemie, Physiologie/Medizin, Literatur und Frieden Geld zukommen lassen, „die der Menschheit im vorangegangenen Jahr den größten Nutzen gebracht haben“. Die Wirtschaftswissenschaften erwähnte er nicht und stand den Wirtschaftswissenschaftlern eher abgeneigt gegenüber.

Es gibt also keinen Wirtschaftsnobelpreis. Doch seit 1969 gibt es den „Sveriges riksbanks pris i ekonomisk vetenskap till Alfred Nobels minne“, auf Deutsch: „Preis der schwedischen Nationalbank in Wirtschaftswissenschaft in Gedenken an Alfred Nobel“. Zu lang für die meisten Kurzbiografien und Zeitungsartikel, und so ist er im Volksmund zum „Wirtschaftsnobelpreis“ verschmolzen. Die 89 Ökonomen, die ihn seit seiner erstmaligen Vergabe 1969 erhalten haben, nennen sich stolz „Nobelpreisträger“.

Diese Verschmelzung in der Öffentlichkeit ist gewollt: Die Zentralbank bezahlt die Nobel Stiftung dafür, den Preis zu verwalten. Die Stiftung erhielt bis 2008 außerdem 1 Mio. Kronor dafür, den Preis auf der offiziellen Webseite zu führen. Durch die detailgetreue Nachahmung soll der Preis den echten Nobelpreis nachahmen, um vom Renommee des echten Nobelpreises zu profitieren: Der Preis wird zur selben Zeit, mit derselben Zeremonie verliehen und ist genauso hoch dotiert (10 Millionen Kronor) wie der tatsächliche Nobelpreis. Nur die Medaille hat ein anderes Design. 

Wie kam es zu diesem Nicht-Nobelpreis?

Die schwedische Zentralbank nahm ihr 300-jähriges Jubiläum zum Anlass der Presse einen neuen Preis zu verkünden— noch bevor eine Einigung mit der Nobel Stiftung, dem schwedischen Parlament oder der Nobel Familie unterzeichnet wurde. Laut Peter Nobel, einem Nachkommen von Alfred Nobel, handelte es sich hierbei um einen „PR-Coup“. Die Familie wurde nach eigenen Angaben in die Enge getrieben, um dem neuen Preis zuzustimmen, was sie unter der Bedingung taten, dass der Preis separat gehalten werden sollte. Der ehemalige Vorsitzende der Nobel Stiftung, Lars Gyllensten, betont deshalb, „dass dieser Preis nicht wie ein Nobelpreis behandelt werden“ solle und es keine weiteren „neuen“ Nobelpreise geben wird, und dieser Preis sich nur durch die „aggressive Propaganda“ des Chefs der Riksbank Per Åsbrink durchschlagen konnte. 

Das Ziel

Was für ein Ziel verfolgte die Riksbank, oder vielmehr ihr Chef Åsbrink mit diesem Streich? Nachdem die Zentralbank mehrmals vom schwedischen, sozialdemokratischen Parlament überstimmt wurde, und es seine Profite mit dem Staat teilen musste, nahm die Bank das Ziel seiner Unabhängigkeit ins Visier. Das Problem: Wirtschaftswissenschaftler genossen Anfang der 70er Jahre in den Augen der Öffentlichkeit noch nicht den Status von „Experten“. Deshalb sah niemand ein, warum man die Kontrolle über die Wirtschaft an eine Fraktion an Ökonomen abgeben sollte.

„Im Jahr 1968 hätten sich die meisten Schweden nicht mit dem Credo abgefunden, dass ausgewiesene Wirtschaftswissenschaftler von sich aus besser wüssten, wie die Wirtschaft ohne demokratische Mitsprache zu lenken sei als der Mann auf der Straße. Daher lag es im Interesse der schwedischen Reichsbank, die Wirtschaftswissenschaft indirekt als lebendige und erfolgreiche Wissenschaft zu propagieren, sodass die Öffentlichkeit schließlich auf ihre Expertise vertrauen und die Zentralbank die Dinge ungestört so handhaben konnte, wie sie es für richtig hielt.“ erklärt Paul Mirowsky, Carl E. Koch Professor für Wirtschaft und Politikwissenschaft sowie Wissenschaftsgeschichte und -philosophie an der University of Notre Dame. Sich in das Licht eines berühmten Wissenschaftspreises zu drängen, gab den Ökonomen also die Chance, den Status ihrer „Wissenschaft“ hervorzuheben. 

Förderung einer spezifischen Strömung der Ökonomie

Aber es ging nicht um irgendwelche Ökonomen: Zu dieser Zeit waren Åsbrink und seine Mitstreiter Lindbeck, Lindahl, und Lundberg Teil einer Denkschule, die überzeugt davon war, dass das „schwedische Modell“ Schweden in den Ruin führen wurde. Viel ansprechender fanden sie die zwei neuen ökonomischen Richtungen, die die heterodoxe Landschaft der Wirtschaftswissenschaft in den nächsten Jahrzehnten ausrotten würde: die neoklassische Ökonomie aus Amerika und die neoliberale Ökonomie mit ihrem Ursprung in der Mont Pèlerin Gesellschaft.

Sie versprachen der Zentralbank auch das stark beschmutzte Bild der schwedischen Banken weiß zu polieren, nachdem sie im Krieg vom Geld der Nazis ähnlich stark profitiert hatten wie die Schweizer. „Der Zweck des Ersatznobelpreises bestand darin, (zwei bestimmte und widersprüchliche) Strömungen des wirtschaftlichen Denkens über ihre Konkurrenten zu heben; diese Strömungen waren eine amerikanisierte Version des Walrasianismus und ein von (der Mont Pèlerin Gesellschaft) inspirierter Neoliberalismus. Wenn diese beiden Strömungen an der Universität von Chicago eine Mischform gefunden haben, umso besser für Chicago und seinen weltweiten Ruf.“ schreibt Mirowsky. „Wir stellen fest, dass die Nobel-Dynamik in Schweden dazu diente, eine bestimmte Art der Volkswirtschaftslehre zu fördern und nicht pauschal alle Formen der Wirtschaftswissenschaften.“ 

„Wir stellen fest, dass die Nobel-Dynamik in Schweden dazu diente, eine bestimmte Art der Volkswirtschaftslehre zu fördern und nicht pauschal alle Formen der Wirtschaftswissenschaften.“ 

Philip Mirowski

Wer kann auf den Nicht-Nobel-Preis hoffen?

Ob die zwei ökonomischen Richtungen auch von sich aus Dominanz erzielt hätten, kann man nicht sagen. Klar ist jedoch, dass bis nach dem Krieg die Landschaft an Denkschulen in der Wirtschaft in Europa und Amerika sehr divers war. Erst nach dem Krieg schaffte der amerikanische Neoklassizismus eine Homogenisierung der Disziplin, indem er zur dominanten Orthodoxie aufstieg. Dass fast 40 % der Riksbank Preise an Ökonomen aus der neoliberalen Schule vergeben wurden, half den Neoliberalen, in der Öffentlichkeit glaubwürdiger zu erscheinen. So „hatte das schwedische Komitee aufgrund seiner eigenen geopolitischen und intellektuellen Zwänge beschlossen, die ’nouvelle vague américaine‘ als die Zukunft der Wirtschaftswissenschaften zu propagieren. Dies wurde Ende der 1970er Jahre sehr deutlich ebenso wie der Grundsatz, dass keine andere Denkschule als die amerikanische Neoklassik oder der Neoliberalismus der Mont Pèlerin Gesellschaft jemals mit einem Ruf aus Stockholm rechnen konnte.“ weiß Mirowsky.

Auszeichnung entgegengesetzter Theorien

Wie schaffte der Preis dieses Werk? Ein großer Unterschied zum echten Nobelpreis ist das Auswahlkomitee. Für diese gern versteckte Tatsache gerät der Preis in regelmäßigen Abständen unter einen Hagel von Kritik aus der Öffentlichkeit — ebenso wie für die Auswahl spaltender Persönlichkeiten. Die Ökonomie sei keine richtige Wissenschaft. Es handle sich deutlich stärker als in den Naturwissenschaften, wo in vielen Fällen wissenschaftliche Durchbrüche ausgezeichnet werden, um Theorien bestimmter Denkschulen, die starken Einfluss auf die Gesetze von Regierungen haben und sich zudem als mehr oder weniger praxistauglich und realitätsgetreu zeigen.

In keinen anderen Nobelpreis wurde bis jetzt in einem Jahr gleichzeitig jemand für und gegen eine Theorie ausgezeichnet, wie beispielsweise F. A. von Hayek und Gunnar Myrdal in 1974. Dass sich die Wirtschaftswissenschaften von den Naturwissenschaften deshalb unterscheiden sah auch Hayek und kritisierte den Preis in seiner Annahmerede: „Es geht darum, dass der Nobelpreis einer Person eine Autorität verleiht, die in der Wirtschaft niemand besitzen sollte.“ Deshalb hätte er gegen die Schaffung dieses Preises geworben (trotzdem nahm er den Preis an). Seit diesen Ereignis achtet das Komitee darauf, den Preis nur noch an Menschen zu vergeben, die berechenbar unkritische Dankesreden halten werden, weiß der schweizer Ökonom Bruno Frey der Universität Basel.

Als ein direktes Beispiel für den unzulässigen Einfluss des Preises kann Robert Merton genannt werden. Er erhielt den Riksbank Preis 1997 für seine neue Methode Finanzderivate zu bewerten. Ein Jahr später brach durch Fehlspekulationen seines Hedgefonds beinahe das weltweite Finanzsystem auseinander, was dank des Eingreifens von Steuergeldern verhindert werden konnte. Seit dieser Katastrophe wurde die Zusammensetzung des Auswahlkomitees leicht geändert. So bekamen seitdem auch Amartya Sen oder der Psychologe Daniel Kahneman und sogar zwei Frauen einen Riksbankpreis. 

Riksbank Preisträger erhalten anerkannten Expertenstatus

Milton Friedman beobachtete die veränderte öffentliche Wahrnehmung eines Riksbank Preisträgers bei sich selber. Er sagte, kurz nachdem er den Nobelpreis im Jahr 1976 erhalten hat: „Es ist ein Tribut an das weltweite Ansehen der Nobelpreise, dass die Bekanntgabe eines Preises den Preisträger sofort zum Experten für alle und jeden macht und Horden von Journalisten und Fotografen von Zeitungen und Fernsehsendern aus aller Welt auf den Plan ruft. Ich selbst bin nach meiner Meinung zu allem gefragt worden, von einem Heilmittel für die gemeine Erkältung bis hin zum Marktwert eines von John F. Kennedy unterzeichneten Briefes. Es ist unnötig zu sagen, dass die Aufmerksamkeit schmeichelhaft, aber auch korrumpierend ist. Irgendwie brauchen wir dringend ein Gegenmittel sowohl gegen die übertriebene Aufmerksamkeit, die einem Nobelpreisträger außerhalb seiner Kompetenzen zuteilwird, als auch gegen das aufgeblähte Ego, das jeder von uns so sehr zu entwickeln droht“. 

Was für eine Wirkung hatte der Preis auf unser Denken?

Der Nicht-Nobelpreis hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die Ideen der Neoliberal Thought Collective heute unser Denken bestimmen, glauben Historiker aus unterschiedlichen Richtungen. „Ein Hauptgrund für die verstärkte öffentliche Wahrnehmung der [Mont Pèlerin] Gesellschaft war die Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften an sieben ihrer Mitglieder zwischen 1974 und 1991…. Es besteht kein Zweifel, dass die Nobelpreise mit ihrer weltweiten Anerkennung den Status der Gesellschaft gestärkt haben.“ ist sich Max Hartwell, der offizielle Historiker der Mont Pèlerin Gesellschaft sicher.

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